Verzichten Sie auf jeglichen Fleischgenuss? Schade, denn eigentlich brauchen Sie auf gar nichts zu verzichten. Sie befreien sich von der Fleischsucht, und gewinnen dadurch unverhofft ein Stück Lebensqualität.
Das zweite Stück Lebensfreude kommt mit dem Meiden der übrigen Tierquälerprodukte wie Milch, Milchprodukte, Eier, Leder, Seide, Wolle und tierischer Seife, wo immer Sie können. Wir brauchen das Thema gar nicht dogmatisch anzugehen sondern einfach ganz locker unsere Wahl zu treffen und möglichst alle Aspekte in die Überlegungen einzubringen.
Wollsachen und Lederschuhe brauchen wir also keineswegs gleich wegzuwerfen, sondern wir flicken sie nochmals oder lassen sie reparieren, damit die «Tieropfer» nochmals eine Saison halten, bis wir tierfreien Ersatz gefunden haben.
Meldet unser Körper ein Essbedürfnis an, so geht dies einher mit der Lust auf etwas, was er kennt, und womit dieses Essbedürfnis normalerweise befriedigt wird. Da wir hier in der Schweiz leben, ist es naheliegend, dass wir Lust auf Milchschokolade oder Käse verspüren, aber beides abgewöhnen, oder etwas deutlicher ausgedrückt, von beidem loskommen möchten. Wie vorgehen?
Beim Einkauf werden Hürden eingebaut. Käse- und Schokoladenregal bleiben links liegen. Statt dessen halten wir uns z.B. an pikante pflanzliche Brotaufstriche, Oliven und an in Öl eingelegte Gemüse, wenn wir unsere Nahrung nicht lieber kurzzeitig so verändern wollen, dass wir vorübergehend das Brot ebenfalls reduzieren, weil damit vielleicht immer auch die Lust auf Käse geschürt wird. Milchschokolade ersetzen wir durch dunkle milchfreie Schokolade zum abgewöhnen oder durch Sesam-Halva (aus dem türkischen Laden), durch Früchte, Dörrobst und Nüsse. Wer gern kocht, wird Produkte meiden, die direkt nach einer Käsewürzung schreien. Denn nirgends auf der Welt hat Käse soviel Stellenwert wie hier in Mitteleuropa. In der indischen Küche kennt man ihn kaum, in der chinesischen überhaupt nicht. Je mehr wir uns also konsequent von diesen Versuchungen abwenden, desto mehr werden sie verblassen.
Bei unseren Ess-Entscheiden werden wir natürlich gesunde und ökologisch sinnvolle Produkte bevorzugen: Bio oder wenigstens IP vor konventionellem Anbau, obwohl Bio nicht unbedingt vegetarisch heisst. Düngt nämlich der Bio-Bauer seine Kulturen mit Blutmehl, Hornspänen, Stalldung, Hühnermist oder BIO-Volldünger (mit Knochenmehl), so gilt dies zwar als BIO ist aber nicht in unserem Sinn. Auch Zucht-Champignons, die auf einem Substrat mit vorwiegend Pferdemist wachsen, sind aus vegetarischer Sicht nicht ideal, denn wo fällt schon Pferdemist in ausreichenden Mengen an? Wohl am ehesten in einem grossen Reitstall, und wie verantwortbar Reiten und Pferderennen sind, bleibe jedem von uns freigestellt.
Auch Gen-Food ist nicht das Ei des Kolumbus, obschon Gen-Lab das Lab aus Kälbermagen ersetzt. Aber damit hat sich’s. Gen-Food-Anbau heisst hochindustrialisierte Produktion. Für Unkräuter und Ackerbewohner bleibt kein Spielraum. Auf genveränderte Nahrung aus diesen Produktions-Wüsten verzichten wir gerne. Unser Boykott solcher Produkte ist eine Absage an die Arroganz der Multis, die wir mit der Gensoja miterleben, und die mit Ihrem patentierten Saatgut neue Monopole und Abhängigkeiten aufbauen wollen.
Deshalb stellt sich wohl über kurz oder lang die Frage, ab es nicht am sinnvollsten wäre, einen möglichst grossen Anteil unserer Nahrung selbst zu produzieren, gentechfrei, ethisch verantwortbar, auch gegenüber Gartenmitbewohnern und nicht zuletzt zu unserer eigenen Freude? Wagen Sie doch einen Versuch in diese Richtung.
Als aktive Naturschützer erstanden wir 1991 eine Magerwiese mit altem Baumbestand, die schon von unserem Vorgänger biologisch und sehr extensiv bewirtschaftet wurde, und glücklicherweise arbeiten auch alle Nachbarn giftfrei. Mit dem Erwerb dieses Landes, 25 Aren zum Preis eines halben Autos als Ergänzung zu unserem Hausgarten, verbesserten wir unsere Lebensqualität sprunghaft. An eigenen Früchten ernten wir nun Erdbeeren, Walderdbeeren, Himbeeren (rot, weiss und golden), Johannisbeeren (rot, weiss und schwarz), Jostabeeren, Kirschen, Mirabellen, Kirschpflaumen, Aprikosen, Pfirsiche, Feigen, Birnen, Haselnüsse, Judenkirschen, Zwetschgen mehrere Trauben-, und einige Apfelsorten, Holunder, Berberitzen und Hagebutten. Und all diese Früchte werden in reifem Zustand gepflückt.
Daneben erfreuen wir uns an den prächtigen Blumenwiesen, in denen eine Vielfalt an Blumen blüht, wie sie vor fünfzig Jahren noch allgegenwärtig waren, und wo auch drei seltene Orchideenarten ihren Lebensraum zurückeroberten, nachdem die Wiese nun seit mehr als 20 Jahren nie mehr gedüngt wurde.
All dieses Land gibt uns natürlich auch Gelegenheit, nicht alltägliches zu versuchen, so zum Beispiel letztes Jahr erstmals Erdmandeln, den Reformhauskunden als Chufas-Nüssli bekannt. Beheimatet in Ostafrika, gedeihen sie bei uns recht gut und schmecken himmlisch. Die Spanier bereiten daraus Erdmandelmilch (Horchata da Chufa). Erdmandeln lassen sich sogar im Blumenkistli auf dem Balkon ziehen.
Oder wie wärs mal mit einem Beet der verschiedenen Getreidearten, wo auch Raritäten dabei sind: Weizen, Dinkel, Roggen, Nacktgerste, Emmer, Einkorn, Nackthafer. Im feuchtwarmen Jahr 1996 entdeckte ich sogar auf zwei Feldern in unserem Klima Reispflanzen, vermutlich stammen sie aus "lebendig gewordenem" Naturreis, der weggeworfen wurde.
Kultivieren sie noch keine blauen Kartoffeln? Sie sind aussen und innen tiefblau und blühen auch so. Das Saatgut vermittelt die Pro Specie Rara, die sich für die Erhaltung selten gewordener und aussterbender Nahrungspflanzen einsetzt. Bestellen Sie den Sortenfinder Frühjahr bei der Pro Specie Rara, Sortenzentrale, 5742 Kölliken, und sie werden staunen, welche Fülle an ausgefallenen und vergessenen Gemüsesorten es sonst noch gibt.
Eines allerdings muss ich Ihnen abschliessend doch noch gestehen. Ohne "Nutztiere" läuft hier gar nichts. Regenwürmer pflügen unermüdlich und von früh bis spät den Garten um. Schnecken beseitigen alles angefaulte. Ein wahres Heer von Schmetterlingen, Käfern und Wildbienen sind den ganzen Tag daran, die unzähligen Blüten zu befruchten, und nicht zu vergessen sind die Grillen und Heuschrecken, die sich eifrig bemühen, die Gärtner und Naturfreunde mit Ihrem Zirpkonzert zu beglücken.
Aber auch Vögel, die Feldmaus und die Rötelmaus sowie Eidechsen und mit etwas Glück sogar Fledermäuse können wir beobachten. Alle finden hier ihren Lebensraum, vielleicht bald auch in Ihrem eigenen Paradies.
Mögen Sie Pilze, und sind Sie wegen meiner Pferdemist-Ausführungen etwas verunsichert. Warum also nicht essbare Pilze mit Hilfe eines guten Pilzbuches selbst kennenlernen und selbst eine Mahlzeit suchen. Solange sie sich unsicher fühlen, suchen sie den Pilzkontrolleur auf. Mit der Zeit gewinnen Sie Routine.
Haben Sie gewusst, dass Sie Pilze auch selbst anbauen können, mit gekauften Substraten oder auf eigene Faust. Sie graben Baumstämme in den Garten oder impfen Strohballen uam. mit Pilzgeflecht entweder nach Lehrbuch (Essbare Gartenpilze, ISBN 3-612-20285-5) oder sie machen es auf gut Glück.
In unserem Kompost erschienen vor einigen Jahren zeitig im Frühling und den ganzen Sommer über Pilze. Wir konnten Sie nicht genau bestimmen. Der Pilzkontrolleur erkannte sie als Kompost-Egerlinge, eine Art, die auf gut verrotteten Komposthaufen vorkommt. Die Pilze schmecken himmlisch, ähnlich wie Zuchtchampignons, aber kräftiger im Geschmack. Schon zwei bis drei Köpfe verleihen gebraten und unter Teigwaren gemischt dem Gericht mehr Gehalt. Wird der Kompost abgetragen, so kommt etwas Pilzsubstrat auf den neuen Kompost.
Selbst im Winter finden wir Pilze, zum Beispiel den Samtfussrübling. Er spriesst vom November bis April auf Weichholzarten wie Pappel- und Weidenstrünken, und diese wiederum finden wir entlang von Bächen und Flüssen.
Auch Austernseitlinge können wir vom Spätherbst bis in den Frühling hinein an härterem Holz entdecken. An einem liegenden Buchenstamm fanden wir über mehrere Jahre hinweg regelmässig bei feuchtem Wetter über dem Gefrierpunkt vom November bis April Austernseitlinge. Als der Baumstamm schon recht stark verrottet war, und wir befürchten mussten, einmal sei wohl die Pilzherrlichkeit zu Ende, pflückten wir ein paar überreife Pilzköpfe und klemmten sie in die Risse anderer liegender Buchenstämme, die bereits lange lagen, und seit letztem Winter ernten wir auch von diesen Stämmen Pilze.
Was sind schon Pilze ohne Rahmsauce, werden Sie schlagfertig entgegnen, weil Sie doch jetzt Rahm ebenfalls meiden? Versuchen Sie doch einmal, mit etwas Kokosmilch und etwas Soja-Cuisine, eine falsche Rahmsauce zu bereiten. Kokosmilch finden Sie in Pulverform in grösseren Coop-Läden, Warenhäusern und Asien-Läden. Soja-Cuisine gibt’s im Bioladen oder Reformhaus. Sie sehen also, Selbst wenn Sie wenig oder gar kein Land zur Verfügung haben, können Sie beginnen, einen Teil Ihrer Nahrung selbst zu produzieren. Mit dem Bio-Snacky ziehen Sie Ihre eigenen Keimlinge an. Geeignetes Saatgut finden Sie im Bioladen oder Reformhaus, aber auch manche andere Sämereien eignen sich.
In Töpfen auf dem Balkon an sonniger Lage gedeihen Küchenkräuter. Auch Erdbeeren lassen sich in Töpfen und in Hängekultur-Pflanzen.
Eine Rebe liefert in 3-4 Jahren die ersten Trauben. Es gibt Sorten, die auch in weniger begünstigtem Klima gedeihen, und sogenannte Direktträger, die ohne Investition schon gedeihen, wenn Sie einen Steckling 30 cm tief in die Erde stecken und oben mindestens ein Auge aus dem Boden gucken lassen.
Dann wird Ihr Heim plötzlich zur Heimat. Sie verspüren kein Bedürfnis mehr, weit weg in die Ferien zu fliegen, sondern finden auf Schritt und Tritt soviel aufregendes und erlebbares, dass es schade um alles ist, was Sie verpassen.
Wir jedenfalls sind bereits wieder eifrig am Sammeln. Frischen wilden Schnittlauch gibt’s schon seit Januar. In ungedüngten Waldwiesen auf verschiedenen Höhenlagen spriesst von Februar bis April der Löwenzahn für die Rohkost, Nüsslisalat (Feldsalat), wächst zuweilen als Unkraut auf naturnah bewirtschafteten, leerstehenden Feldern und in Buntbrachen. Im Wald finden wir Waldspinat (Teufelskralle oder Waldrapunzel), Bärlauch gedeiht so reichlich, dass es jedes Jahr ein paarmal Bärlauch-Pesto-Teigwaren gibt. Aber Achtung, nach dem Genuss von Bärlauch in reichlichen Mengen verströmt man rund vierundzwanzig Stunden einen kräftigen Knoblauchduft, und das ist für nicht beteiligte Mitmenschen nicht unbedingt angenehm. Bärlauch lässt sich auch vom Wald an einen schattigen Platz im Garten holen, wo sonst kaum Gemüse gedeiht, um das Würzkraut für Blattsalate im Frühling gleich zur Hand zu haben. Auch der Giersch oder Baumtropfen, unter Bäumen ein wenig geschätztes Unkraut, ergibt gedünstet ein kräftiges und recht schmackhaftes Gemüse, Winterkresse und Sauerampfer bereichern, sparsam verwendet, unsere Rohkost. In der Agenda halten wir die wichtigsten Erntezeiten fest, und es werden derer von Jahr zu Jahr mehr.
Was bei uns natürlich auch nie fehlen darf, ist ein November-Ausflug in die Südschweiz zum Kastaniensammeln. Dann kehren wir regelmässig mit mehr als 10 kg Kastanien nach Hause, Genuss, Spass und Erinnerung für manchen gemütlichen Winterabend.
Warum auch in die Ferne schweifen (fliegen)? Sieh, das Schöne liegt so nah!
Fredy Forster
- Der perfekte Vegetarier, vegi-Info 1999/4
- Vegetarier – Wie weit sind wir das überhaupt?, Vegi-Info 1998/4