Das Problem der Überfischung ist schon seit vielen Jahren bekannt. Es gab genug Warnungen und Aufforderungen zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Meere, die jedoch bis jetzt zu keinem Ergebnis geführt haben. Am Welt-Umwelttag am 5. Juni 2004, ausgerufen 1972 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), beteiligten sich weltweit rund 150 Staaten. Aber laut damaligem UNEP-Chef Klaus Töpfer gabs nicht viel zu feiern: Die Meere, die 70 Prozent der Erdoberfläche ausmachen, sind ernsthaft bedroht durch Überfischung, Verschmutzung und andere negative Umweltfaktoren.
Klipp und klar erläutert das Umweltprogramm der UNO (UNEP) einige Hintergründe der besorgniserregenden Lage:
- Meere beinhalten 90 Prozent der irdischen Biomasse, vom Seetang bis zum Blauwal.
- Ungefähr 3,5 Milliarden Menschen (die Zahl könnte sich in den nächsten 20 Jahren noch verdoppeln) sind auf die Meere angewiesen.
- Mehr als 70 Prozent des Fischbestandes werden über das nachhaltige Mass hinaus entnommen. Allein die Vorräte an Thunfisch, Kabeljau, Schwertfisch und Marlleine sind im letzten Jahrhundert um 90 Prozent reduziert worden.
- 80 Prozent der Meeresverschmutzung entstehen schon jetzt an Land. Die Situation wird sich noch verschlimmern, wenn, wie geschätzt wird, im Jahr 2010 achtzig Prozent der Weltbevölkerung in Küstennähe (Radius 100 km) leben.
- Durch verunreinigte Küstengewässer verursachte Todesfälle und Krankheiten kosten jährlich 12,8 Milliarden Dollar.
- Plastikmüll tötet jährlich bis zu einer Million Seevögel, 100000 Meeressäuger und unzählige Fische.
- Enorme Mengen an Öl belasten alljährlich die Meere durch unbeabsichtigtes Einsickern, illegale Verschmutzung durch den Schiffsverkehr und durch Unglücksfälle in der Seefahrt.
- Der Meeresspiegel hat sich in den letzten 100 Jahren um 10–25 cm angehoben und könnte weiter ansteigen und niedrig gelegene Länder überfluten.
- Von den vor 109 Nationen liegenden tropischen Korallenriffen sind 93 schon durch die wirtschaftliche Entwicklung der Küstenregionen und wachsenden Tourismus stark beschädigt. Korallenriffe bedecken zwar nur 0,5 Prozent des Meeresbodens, aber mehr als 90 Prozent der Arten hängen direkt oder indirekt von ihnen ab.
Auch auf dem Weltgipfel 2002 in Johannesburg bestand im Prinzip Einigkeit darüber, dass bis 2012 marine Schutzgebiete zu schaffen und bis 2015 die belasteten Fischbestände wieder aufzufüllen seien. Zur Vermeidung weiterer Überfischung wurde auch die Abschaffung von Subventionen gefordert, die mit einem Umfang von geschätzten 15 bis 20 Milliarden Dollar allein schon 20 Prozent der Einkünfte aus der Fischereiindustrie ausmachen.
«Die Flottenüberkapazität ist für viele Probleme verantwortlich, mit denen der Sektor heute zu kämpfen hat. Eine aktive Politik zur Begrenzung der Fangkapazitäten und des Fischereiaufwands ist deshalb unverzichtbar.»
Dr. Franz Fischler
Im September 2000 sagte Dr. Franz Fischler, Mitglied der Europäischen Kommission zuständig für Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und Fischerei, dass der Fischereisektor sich in einer Krise befindet: «Wenn es uns … nicht gelingt, die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) im Interesse der Gesellschaft im Allgemeinen und des Fischereisektors im Besonderen zu reformieren, werden wir in eine ‹Fischereisklerose› geraten, und die ersten Leidtragenden dieser Untätigkeit werden unsere Fischer sein.»
Dem ist zu widersprechen! Die ersten Leidtragenden menschlicher Rücksichtslosigkeit sind nach wie vor die Tiere: sterile Korallenriffe, deren einstige lebendige Farbenpracht nur noch auf Filmen bewundert werden kann, der vom Aussterben bedrohte Kabeljau (man erinnere sich an die Kabeljau-Kriege zwischen England und Island!), eine Rekordzahl verhungerter Pinguine auf den Falklands und hochgradig mit Quecksilber verseuchte Meeressäuger (japanische Wissenschaftler stellten kürzlich fest, dass in einigen Proben die Konzentration des giftigen Schwermetalls den internationalen Grenzwert um das 5'000fache überstieg und ein Verzehr zu akuten Vergiftungen führen kann. Der Schaden für die Wale selbst scheint nicht untersuchenswert).
Die Meere sind krank!
Und alle in ihnen lebenden Tiere sind nicht nur von den durch Menschenhand verursachten Verunreinigungen bedroht, sondern vor allem, und zwar nicht nur als Individuen, sondern auch als Spezies, durch einen zügellosen Fischfang. Durch den menschlichen Zugriff auf immer kleinere Fische lässt sich mittlerweile der für eine erfolgreiche Vermehrung benötigte Bestand an ausgewachsenen Tieren nicht mehr halten. Die Meere leeren sich!
Die Situation ist kritisch: Im Vergleich mit 1902 kann heute nur noch etwa ein Sechstel der damaligen Biomasse der Meere registriert werden, und ausserdem sind (laut Feststellung vom International Council for the Exploration of the Seas [ICES]) in den letzten 25 Jahren die Bestände an ausgewachsenen Fischen in EU-Gewässern um 90% zurückgegangen.
Wir sind also mit der paradoxen Situation konfrontiert, dass immer mehr Fischereiboote sich um die verbliebenen zehn Prozent ausgewachsener Fische streiten. Dieser Teufelskreis ist genauso wohl bekannt, wie er schwer zu kontrollieren ist. Immer wieder verhindern nationale Egoismen alle Reformprojekte und zerschlagen damit die Aussicht auf eine nachhaltigere Strategie.
Fische verschwinden
Der Fischfang wird fortschreitend mühsamer. Immer längere Fahrten müssen zum Aufspüren von Schwärmen unternommen werden – wenn sie denn überhaupt noch zu finden sind. Sogar in den einst so fischreichen Gewässern um England herrscht zunehmende Leere, und so ist die Wahrscheinlichkeit mittlerweile sehr hoch, dass der Kunde beim Verzehr des Nationalgerichts «Fish & Chips» eingeführtes Fischfleisch serviert bekommt. Diese Importe stellen aber keinesfalls eine Lösung dar, im Gegenteil: Sie exportieren nur das Problem in andere Regionen.
Im Rahmen einer 2003 in Boston vorgestellten Studie war die Lage im gesamten Nordatlantik (Kanada, USA, Europa) untersucht worden. Das Ergebnis erschreckte selbst die Wissenschaftler: «Wir haben festgestellt, dass die Situation viel schlimmer als vermutet ist», sagte der Projektleiter, Dr. Daniel Pauly von der Universität von Britisch-Kolumbien, Kanada.
Wenn Kommissar Fischler also angesichts einer solch dramatischen Notlage in den europäischen Gewässern entschlossen auf einer Flottenreduzierung von 40% besteht, klingt dieses Vorhaben logisch und vernünftig. Es wird auch von vielen Regierungen unterstützt. Nur sind die Verantwortlichen in Spanien, Frankreich, Portugal, Italien und Griechenland mit den geplanten Massnahmen alles andere als einverstanden. Sie wehren sich nicht nur gegen den Abbau von Flottenkapazität, sondern auch gegen verstärkte Kontrollen und die Regelung von artenübergreifenden Fangquoten. Besonders gereizt sind diese Reformgegner jedoch wegen der vorgesehenen Streichungen von Subventionen in Höhe von 460 Millionen Euro, die eigentlich über die nächsten vier Jahre für den Bau und die Instandsetzung von Fischereibooten vorgesehen waren.
Wenn auch Fischler, wie er bei jeder Gelegenheit klar zu verstehen gibt, keine grundlegende Änderung seiner Strategie beabsichtigt, so hofft er doch auf einen Kompromiss. Dabei könnte vielleicht der Vorschlag hilfreich sein, die nicht für Subventionen ausgegebenen finanziellen Mittel zur Entwicklung von beruflichen Alternativen für Fischer einzusetzen, von denen viele ihre Existenzgrundlage bereits verloren haben. Trotzdem sind aber die Aussichten auf eine zufrieden stellende Übereinkunft nicht gerade glänzend, denn ausgerechnet Spanien hat den gegenwärtigen EU-Vorsitz inne und muss daher die Rolle des Vermittlers in dieser Auseinandersetzung wahrnehmen ...
Aber selbst dem erbittertsten Gegner der Reformpläne müsste die Antwort auf eine ganz einfache Frage eigentlich nicht schwer fallen: Warum sollte man eine Fischerei-Infrastruktur unverändert aufrecht erhalten, wenn es bald keine Fische mehr zu fangen gibt?
Herma Caelen
- Siehe auch: Lebewesen Tier - Fische
- Ending Overfishing: Das schön animierte Video klärt über den Hergang der Überfischung auf. Nur in Englisch. Wir, als nicht-EU-Mitgliedsstaat können am einfachsten die Fischerei via unseren Konsum steuern und auf Fisch verzichten.
- Reuters/UN/FAO/BBC