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Weshalb gibt es noch Fleischesser?

Egal ob man es aus tierschützerischer, ethischer, gesundheitlicher oder ökologischer Sicht ansieht: Alle Fakten sprechen heute deutlich für die vegetarische Ernährung. Dennoch konsumiert die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin Fleisch. Wie lässt sich dies begründen?

Fleischesser: keine Überzeugungstäter

Vegetarier und Veganer entscheiden sich in der Regel ganz bewusst, keine Tiere mehr für ihren Gaumen töten zu lassen.
Bei den Konsumenten der tierischen Produkte ist dies meist nicht der Fall. Kaum ein Fleischkonsument begrüsst das Töten von Tieren und fühlt sich in einem Schlachthof wohl.
Es ist also nicht so, dass ein Fleischesser Fleisch konsumiert, weil er es toll findet, dass dafür Tiere getötet werden, sondern, dass er trotz dieser Nachteile Fleisch konsumiert.

Das Töten der Tiere empfinden auch die meisten Fleischesser als negativ, der Verzicht auf ihren Fleischkonsum empfinden sie aber als grösseres «Übel» als das, was der Fleischkonsum den Tieren antut.
Bei diesem Abwägen der Nachteile des Fleischkonsums und der vegetarischen Ernährung spielen zwei Punkte die zentrale Rolle:
1. Was für Nachteile werden mit der vegetarischen Ernährung in Verbindung gebracht?
2. Was für Nachteile werden beim Fleischkonsum bewusst wahrgenommen?
Die Nachteile des Fleischkonsums werden dabei unterschätzt (auch weil man sich absichtlich nicht damit auseinandersetzt oder sie verdrängt), die Nachteile der vegetarischen Ernährung aber überschätzt. Auch hier fehlt es oft an Informationen.
Zum Beispiel, wenn jemand denkt, er müsse Fleisch konsumieren, um gesund zu bleiben, oder Fleischverzicht sei gleichzusetzen mit einem asketischen Lebensstil, sind dies Vorurteile, die längst widerlegt sind.
Hinzu kommt, dass Menschen träge sind. Das heisst: Um Gewohnheiten zu ändern, muss ein sehr guter Grund vorliegen. Neue Erkenntnisse werden deshalb auch meist verdrängt, um an den bestehenden Gewohnheiten weiter festhalten zu können. Wenn sie mit Schlachthofbildern auf die Nachteile des Fleischkonsums aufmerksam gemacht werden, ist die Verdrängung oft noch stärker, da sie ja sonst zugeben müssten, dass sie nur zur Befriedigung ihres Gaumens für diese Gewalt verantwortlich sind.

«Manche Irrtümer halten wir unser Leben hindurch fest und hüten uns, jemals ihren Grund zu prüfen, bloss aus einer uns selbst unbewussten Furcht, die Entdeckung machen zu können, dass wir so lange und so oft das Falsche geglaubt und behauptet haben.» 
Arthur Schopenhauer
 

Mitläufer

Es braucht viel weniger Energie, wenn man zu einer Lebensweise steht, die von der überwiegenden Mehrheit geteilt wird. Es ist z.B. nicht nötig, anderen zu erklären, weshalb man kein Menschenfleisch isst, weil der Menschenfleischkonsum nicht verbreitet ist. Wenn man aber vegetarisch oder gar vegan lebt, gerät man immer wieder in die Lage, dies begründen zu müssen, da es nicht der bei uns üblichen Ernährungsform entspricht.
Deshalb ist es leichter, mit der Masse zu schwimmen und die Eigenverantwortung für seine Handlungen zu verleugnen.
Es braucht ein starkes Selbstbewusstsein, um zu erkennen, dass man selbst richtig handelt, obwohl es nicht der üblichen Handlungsweise entspricht.

Zu den «Guten» gehören

Jeder möchte zu den «guten» Menschen gehören. Wenn jemand die Welt in «Gute» und «Böse» einteilt, kann man sicher sein, dass diese Person sich selbst bei den «Guten» sieht. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Einteilung von einem US-Präsidenten, einem Terroristen oder dem Mann von der Strasse gemacht wird: Stets möchte man selbst zu den «Guten» gehören.
Auch beim Fleischkonsum spielt dieser Wunsch eine Rolle: Obwohl es für jede Person, die einmal einen Besuch im Schlachthof gemacht hat, klar ist, dass diese Gewalt nicht als etwas Positives angesehen werden kann, wird sie sogar durch das eigene Geld beim Fleischeinkauf mitfinanziert. Die verbreitetste Gegenstrategie gegen dieses schlechte Gewissen ist die Verdrängung. Kaum ein Fleischkonsument denkt beim Fleischkonsum an die Gewalt, die dem Tier angetan wurde, dessen körperliche Überreste er gerade isst. Alles Negative, das mit dem Fleischkonsum zusammenhängt, muss ausgeblendet werden, um den eigenen Genuss nicht zu stören.
In einem solchen Moment reagieren viele Fleischesser aggressiv, wenn sie darauf angesprochen werden, weil man damit ihren Verdrängungsmechanismus zerstört.

Es wird oft gesagt, dass die Menschen schon immer Fleisch gegessen hätten, als ob dies eine Rechtfertigung wäre, dies weiterhin zu tun. Gemäss dieser Logik dürften wir nicht versuchen, Menschen daran zu hindern, andere Menschen umzubringen, da dies auch schon seit jeher getan wurde.
Isaac Bashevis Singer
 

Aufregende Vegetarier

Für Fleischesser hinterlässt deshalb fast jede Begegnung mit Vegetariern ein negatives Gefühl: Nur schon durch ihre Anwesenheit verhindern sie die konsequente Verdrängung der Nachteile des Fleischkonsums. Sie zeigen sogar mit ihrer blossen Existenz auf, dass eine Ernährung ohne Tierleid möglich ist. Dies hinterlässt bei Fleischessern negative Assoziationen, wann immer sie an die vegetarische Ernährung denken. Hinzu kommt, dass nicht alle Vegetarier die pure Lebensfreude und Zufriedenheit ausstrahlen und ihre Ernährungsweise oft auch sehr undiplomatisch zu verbreiten versuchen. Natürlich ist es schwer, sachlich und ruhig über den Fleischkonsum zu sprechen, wenn man weiss, wie es in Tierfabriken, bei Tiertransporten und in Schlachthöfen zugeht.
Die zufriedenen Vegetarier/Veganer, die nicht aggressiv gegen aussen auftreten, werden von Fleischessern (und den Medien) leider kaum wahrgenommen, da dabei die Verdrängung nur selten durchdrungen werden kann. Doch «steter Tropfen höhlt den Stein»: Je häufiger Fleischesser zufriedenen, glücklichen Vegetariern begegnen, desto attraktiver wird für sie die Auseinandersetzung mit dieser Ernährungsform.

Die Nachteile der nicht vegetarischen Ernährung werden immer stärker auch öffentlich diskutiert. Es ist deshalb nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Fleischesser sich bewusst für oder gegen die Tötung der Tiere zur Befriedigung des Gaumens entscheiden müssen. Und dann wird der Entscheid wohl nicht selten für die Tiere, die Umwelt und die eigene Gesundheit ausfallen.

Renato Pichler

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