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Die Dinge abstrahieren sich, wenn man von soviel gewaltsamen Tod umgeben ist; das eigene Leben erscheint unendlich bedeutungslos. Irgendwann blickt man auf die anonymen Reihen zerstückelter Schweine, die mäanderförmig durch die Halle ziehen, und fragt sich: Wäre es anders, wenn hier Menschen hingen? Insbesondere die rückwärtige Anatomie der Schlachttiere, dick und pickelig und rotgefleckt, erinnert verblüffend an das, was an sonnigen Urlaubsstränden fettig unter engen Badehosen hervorquillt. Auch die nicht endenwollenden Schreie, die aus der Tötungshalle herübergellen, wenn die Schweine den Tod spüren, könnten von Frauen oder Kindern stammen. Abstumpfung bleibt nicht aus. Irgendwann denke ich nur noch, aufhören, es soll aufhören, hoffentlich macht er schnell mit den Elektrozangen, damit es endlich aufhört. "Viele geben keinen Ton vor sich", hat einer der Veterinäre einmal gesagt, "andere stehen eben da und schreien völlig grundlos."

Ich sehe mir auch das an, – wie sie dastehen und "völlig grundlos" schreien. Mehr als die Hälfte des Praktikums ist vorüber, als ich endlich in die Tötungshalle gehe, um sagen zu können: "Ich habe gesehen." Hier schliesst sich der Weg, der vorn an der Laderampe beginnt. Der kahle Gang, in den alle Pferche münden, verjüngt sich und führt eine Tür in einen kleinen Wartepferch für jeweils vier oder fünf Schweine. Sollte ich je den Begriff ‚Angst’ bildlich darstellen, ich würde die Schweine zeichnen, die sich hier gegen die hinter ihnen geschlossene Tür zusammendrängen, ich würde ihre Augen zeichnen. Augen, die ich niemals mehr vergessen kann. Augen, in die jeder sehen sollte, den es nach Fleisch verlangt.

Mit Hilfe eines Gummischlauches werden die Schweine separiert. Eines wird nach vorn in einen Stand getrieben, der es von allen Seiten umschliesst. Es schreit, versucht nach hinten auszubrechen, und häufig hat der Treiber alle Hände voll zu tun, ehe er endlich mit einem elektrischen Schieber den Stand schliessen kann. Ein Knopfdruck, der Boden des Standes wird durch eine Art fahrbaren Schlitten ersetzt, auf dem sich das Schwein rittlings wiederfindet, ein zweiter Schieber vor ihm öffnet sich, und der Schlitten mit dem Tier gleitet hinüber in eine weitere Box. Der danebenstehende Grobschlächter – ich habe ihn insgeheim immer ‚Frankenstein’ genannt – setzt die Elektroden an; eine Dreipunktbetäubung, wie der Direktor mir einst erklärt hat. Man sieht das Schwein sich in der Box aufbäumen, dann klappt der Schlitten weg, und das zuckende Tier schlägt auf einer blutüberströmten Rutsche auf und zappelt mit den Beinen. Auch hier wartet ein Grobschlächter, zielsicher trifft das Messer unter dem rechten Vorderbein, ein Schwall dunklen Blutes schiesst hervor, und der Körper rutscht weiter. Sekunden später hat sich bereits eine Eisenkette um ein Hinterbein geschlossen und das Tier emporgezogen, und der Grobschlächter legt das Messer ab, greift nach einer verschmierten Cola-Flasche, die auf dem zentimeterdick mit geronnenem Blut bedeckten Boden steht, und genehmigt sich einen Schluck.

Feuer flammt auf, und mehrere Sekunden lang werden die Körper herumgeschüttelt und scheinen einen grotesken Springtanz aufzuführen.

Ich folge den am Haken baumelnden, ausblutenden Kadavern in die "Hölle". So habe ich den nächsten Raum genannt. Er ist hoch und schwarz, voll von Russ, Gestank und Feuer. Nach einigen bluttriefenden Kurven erreicht die Schweinereihe eine Art riesigen Ofen. Hier wird entborstet. Von oben fallen die Tiere in einen Auffangtrichter und gleiten in das Innere der Maschine. Man kann hineinsehen. Feuer flammt auf, und mehrere Sekunden lang werden die Körper herumgeschüttelt und scheinen einen grotesken Springtanz aufzuführen. Dann klatschen sie auf der anderen Seite auf einen grossen Tisch, werden sofort von zwei Grobschlächtern ergriffen, die noch verbliebene Borsten herunterkratzen, die Augäpfel herausreissen und die Hornschuhe von den Klauen trennen. Einen Moment nur dauert dies alles, hier wird im Akkord gearbeitet. Haken durch die Sehnen der Hinterläufe, schon hängen die toten Tiere wieder und gleiten nun zu einem stählernen Rahmen, der wie ein Flammenwerfer konzipiert ist: Ein bellendes Geräusch, und der Tierkörper wird von einem Dutzend Stichflammen eingehüllt und einige Sekunden lang abgeflammt. Das Fliessband setzt sich wieder in Bewegung, führt in die nächste Halle, – jene, wo ich schon drei Wochen lang gestanden habe. Die Organe werden entnommen und auf dem oberen Fliessband bearbeitet: Zunge durchtasten, Mandeln und Speiseröhre abtrennen und fortwerfen, Lymphknoten anschneiden, Lunge zum Abfall, Luftröhre und Herz eröffnen, Trichinenprobe entnehmen, Gallenblase entfernen und Leber auf Wurmknoten untersuche. Viele Schweine sind verwurmt, ihre Lebern sind von Wurmknoten durchsetzt und müssen weggeworfen werden. Alle übrigen Organe wie Magen, Darm und Geschlechtsapparat landen im Abfall. Am unteren Fliessband wird der Restkörper gebrauchsfertig gemacht: zerteilt, Gelenke angeschnitten, After, Nieren und Flomen entfernt, Gehirn und Rückenmark abgesaugt etc., dann Stempel auf Schulter, Nacken, Lende, Bauch und Keule aufgebracht, gewogen und in die Kühlhalle befördert. Nicht zum Verzehr geeignete Tiere werden "vorläufig beschlagnahmt". Das Stempeln ist für den ungeübten Schweissarbeit, die lauwarmen, glitschigen Kadaver hängen zum Schluss des Bandes hin sehr hoch, und will man nicht von ihnen erschlagen werden, muss man sich beeilen, denn vor der Waage klatschen die Hälften mit viel Wucht aufeinander.

Mir ist, als ob diese Besudelung und der Geruch für immer an mir haften. Hinaus, nur hinaus...

Wie oft mein Blick in all diesen Tagen zur Uhr schweift, die im Pausenraum hängt, vermag ich nicht zu sagen. Ganz gewiss geht keine Uhr auf der ganzen Welt langsamer als diese. Jeden Vormittag ist zur Halbzeit eine Pause erlaubt, aufatmend eile ich in den Waschraum, reinige mich notdürftig von Blut und Fleischfetzen; mir ist, als ob diese Besudelung und der Geruch für immer an mir haften. Hinaus, nur hinaus. Ich habe in diesem Haus nie auch nur einen Bissen essen können. Entweder verbringe ich die Pause, so kalt es auch sein mag, draussen, laufe bis an den Stacheldrahtzaun vor und starre hinüber auf die Felder und den Waldrand, beobachte die Krähen. Oder ich gehe zum jenseits der Strasse gelegenen Einkaufszentrum, dort ist eine kleine Bäckerei, wo man sich bei einer Tasse Kaffee aufwärmen kann. Zwanzig Minuten später zurück ans Band.
Fleisch essen ist ein Verbrechen. Kein Fleischesser kann je wieder mein Freund sein. Niemals. Niemals wieder. Jeden, denke ich, jeden der Fleisch isst, sollte man hier durchschicken, jeder müsste es sehen, von Anfang bis Ende.

Das steril verschweisste Schnitzel im Supermarkt hat keine Augen mehr, die überquellen vor nackter Todesangst, es schreit nicht mehr.

 

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