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08.02.2023 | Vivian

In den Schweizer Schweineställen ist es seit 2020 noch enger geworden, denn es werden weit mehr Schweine gezüchtet, als von den Schweizer Konsument:innen nachgefragt. Doch anstatt die Produktion herunterzufahren, werden die Schweine ins Ausland verfrachtet und Schweinefleisch wird notfallmässig eingelagert – finanziert durch den Bund.

Seit Jahren wird in der Schweiz immer weniger Schweinefleisch gegessen. Als die Nachfrage nach Schweizer Schweinefleisch zu Beginn der Coronapandemie durch den fehlenden Einkaufstourismus leicht anstieg, haben die Schweizer Schweinezüchter:innen die Produktion enorm hochgefahren. Dies führte zur Überproduktion, denn die Nachfrage nach Schweinefleisch brach bald wieder ein – das Angebot jedoch wurde nicht angepasst, und die Schweine wurden immer mehr.

Verstösse gegen das Tierschutzgesetz

Nun gibt es viel zu viele Schweine in der Schweiz – gemäss Proviande sind es rund 50'000 mehr, als gekauft werden – und die Folgen für die Tiere sind gravierend.1 Denn infolge des Überangebots müssen die Schweine länger auf den Höfen bleiben, bevor sie geschlachtet werden. Folglich werden sie grösser und schwerer als vorgesehen, und in den sowieso schon beengten Ställen wird es noch enger. Bis zu zehn erwachsene Schweine dürfen bereits unter normalen Umständen auf einer Fläche von «der Grösse eines Autoparkplatzes» gehalten werden. Ab einem Gewicht von 110 kg haben die Tiere gemäss Tierschutzgesetz Anrecht auf fast um die Hälfte mehr Platz. Doch diesen Platz gibt es nicht. Die Folgen sind so gut wie keine Bewegungsfreiheit für die Schweine, gestresste Tiere und immer schlechtere Hygiene.

Selbst das Veterinäramt schlug aufgrund der drohenden Nichteinhaltung des Tierschutzgesetzes Alarm. Denn gemäss dem Luzerner Veterinäramt gab es wiederholt Anfragen auf Ausnahmen von den Vorschriften. Verfahren gab es in der ganzen Schweiz trotzdem nur wenige.2 Cesare Sciarra vom Schweizer Tierschutz ist jedoch sicher: Die Vorschriften können unmöglich eingehalten werden, denn es gibt schlicht zu viele Schweine in den Betrieben. Das bestätigen gemäss saldo Bilder der Tierschutzorganisation Tier im Fokus, auf denen die Schweine laut Präsident Tobias Sennhauser «auf engstem Raum zusammengepfercht» seien.3

 

Schweine in Zuchtstätte

Bei uns sieht es zurzeit anders aus: In den Schweizer Schweineställen reicht der Platz teils nicht einmal mehr zum Liegen.

Teure Notfallmassnahmen – finanziert vom Bund

Zur «Bewältigung der Krise auf dem Schweinemarkt» wurden gemäss Branchenorganisation Proviande sowie Suisseporcs «in einer beispiellosen, von der ganzen Branche ausgearbeiteten Lösung» verschiedene Massnahmen eingeführt.4 So wurden im Dezember knapp 15'000 Tiere notfallmässig geschlachtet und eingefroren. Finanziert wurde diese Aktion vom Bund – und zwar mit 1,9 Mio. Franken. Die Einlagerung von überschüssigem Schweinefleisch als Folge der Überproduktion wird die Steuerzahlenden noch mindestens weitere 3 Mio. Franken kosten. Denn dieser Betrag steht Proviande gestützt auf die Schlachtviehverordnung zu.3 

Um die Situation in den Mastbetrieben zu entschärfen, wurden weitere 15'000 Tiere bereits ins europäische Ausland, insbesondere nach Deutschland, exportiert, und zwar zu Tiefstpreisen. Auch für die kommenden Wochen erwartet Proviande einen wöchentlichen Export von rund 5'000 Tieren. Bereits im Sommer 2022 sollten gemäss 20 Minuten 500 Ferkel nach Deutschland exportiert werden. Als dies aufgrund der Hitzebestimmungen nicht möglich war, wurden sie kurzerhand geschlachtet und zu Haustierfutter verarbeitet.5 

Insgesamt sollte es für die Schweinebetriebe genügend Gründe geben, die Anzahl gehaltener Tiere zu reduzieren. Doch laut saldo wurden den Produzent:innen im letzten Jahr stattdessen Zusatzprämien von bis zu 20'000 Franken pro Jahr und Betrieb ausgezahlt – aufgrund der sinkenden Produzentenpreise. Die Betriebe müssen als Verursacher der Überproduktion also kaum Verantwortung für die Situation übernehmen und haben wenig Grund, ihre Produktionsweise zu ändern. 

Mangelndes Tierwohl und fehlende Verantwortung – wie kann das sein?

Die Zustände in den Schweizer Schweinebetrieben sind erschreckend. Wie kann es sein, dass die Schweinezucht trotz zunehmendem Platzmangel und wiederholten Warnungen nicht heruntergefahren wird? Wie können die sowieso bereits mangelhaften Platzvorschriften in den Betrieben auf Kosten des Tierwohls schlichtweg ignoriert werden – und wie kann dies dem Veterinäramt entgehen? Und wie ist es möglich, dass die finanziellen Folgen dieses enormen Fehlverhaltens zu einem Grossteil vom Bund – und damit von den Steuerzahlenden – getragen werden, anstatt von den Verursachenden selbst? Die Vorkommnisse machen einmal mehr deutlich, dass das Schweizer Tierschutzgesetz und insbesondere sein Vollzug absolut ungenügend sind – und dass die Subventionierung unseres Fleischkonsums über die Steuerzahlenden ein für alle Mal enden muss, damit Konsument:innen genauso wie Produzent:innen endlich die tatsächlichen Kosten der Fleischproduktion tragen, und nicht Tiere und Allgemeinheit. 

Mögliche Lösungsansätze – die Niederlande machen es vor

Ein Überangebot an Schweinefleisch ist übrigens auch in umliegenden europäischen Ländern ein Thema. Weil die Schweinezucht immer weniger profitabel geworden ist, wird beispielsweise in Deutschland zurzeit über eine Ausstiegsprämie für Schweinehalter:innen, die bereit sind, ihren Betrieb aufzugeben, diskutiert. Alternativ steht eine Umstiegsprämie im Raum, die eine Verbesserung der Tierhaltungsbedingungen subventioniert.6 Die Niederlande machen bereits vor, wie Steuergelder eingesetzt werden können, um einen Ausstieg aus der Tierhaltung anstatt dessen Weiterführung zu unterstützen. Fürs Jahr 2022 hat die niederländische Regierung 228 Mio. Euro bereitgestellt, um Schweinezüchter:innen, die sich in der Nähe bestimmter Naturschutzgebiete befinden, zum Ausstieg zu bewegen. Auslöser für diese Massnahme war in erster Linie das Ziel, die Stickstoffemissionen zu reduzieren. Langfristig soll der Viehbestand im Land um ein Drittel reduziert werden. Zu diesem Zweck hat die niederländische Regierung einen 25-Milliarden-Euro-Plan ausgearbeitet, der unter anderem Viehhalter:innen beim Ausstieg aus der Branche oder bei einer Umstellung auf extensive Landwirtschaft finanziell unterstützt.7 

1 Proviande, Wochenpreise und Daten zum Schlachtmarkt. 

2 Christen, M., NZZ Magazin. Schweizer Schweine leider unter Platznot. 14. Januar 2023. 

3 Mennig, D. & Cetojevic D., Saldo. Industrie verramscht Schweinefleisch ins Ausland – auf Kosten der Steuerzahler. 21. Januar 2023. 

4 Proviande, Aktuelle Lage auf dem Schweinemarkt. 31. Januar 2023. 

5 Rosner, Y. 20 Minuten. Zu viele Schweine in der Schweiz – jetzt werden sie zu Tierfutter verarbeitet. 18. September 2022. 

6 Agrimand, Ausstiegsprämie für Schweinebauern: Sinnvoll oder nicht? 28. Oktober 2022. 

7 Deter, A. Top Agrar Online. Agrarwende: Niederlande wollen Tierbestände um ein Drittel abbauen. 11. Januar 2022. 

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