Die Ärztin Dr. Nandita Shah lebt in Auroville in Südindien. Sie ist eine der wenigen vegan lebenden Ärzte dieser Welt und in dritter Generation anerkannte Homöopathin. Dr. Shah zählt zu den Unterzeichnerinnen des Manifesto 2007 der European Vegetarian Union; sie ist für verschiedene Tierrechtsorganisationen aktiv und Initiatorin von SHARAN (bei Mumbai): Sanctuary for Health and Reconnection to Animals and Nature.
Bitte fassen Sie kurz zusammen, welche Beweggründe bei Ihrem Engagement für Gesundheit und vegane Ernährung eine Rolle spielen.
In der Homöopathie geht es ja um den ganzheitlichen Ansatz, dem gegenüber steht der allopathische Ansatz der Schulmedizin. Was Schulmedizin bedeutet, weiss ich recht gut, schliesslich bin ich ausgebildete Ärztin. Dass in der Ausbildung die Ernährung nur eine untergeordnete bis gar keine Rolle spielt, widerspricht ganz und gar meinem Verständnis von einem verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Gesundheit. Ich lehrte schon sehr lange Homöopathie, bevor ich mich intensiv mit Ernährung und deren Wirkungen auf Körper und Gesundheit beschäftigt habe. Seit sechs Jahren lebe ich jetzt vegan, vorher habe ich 20 Jahre vegetarisch gelebt. Zuerst konnte ich meinen Patienten nur einige Tipps zur Ernährung geben. Mittlerweile habe ich Patienten, die ich ausschliesslich darüber behandle.
Sie leiten das Animal Sanctuary SHARAN, daraus schliesse ich, dass Sie ein nachhaltiges Interesse an Tieren und der Natur haben.
Ja, selbstverständlich, das ist mir sehr wichtig. Ich spreche z.B. häufig über die negativen Auswirkungen der «Fleischproduktion» auf die Umwelt. Zum Glück wird diese Gefahr allmählich ernster genommen. Die katastrophalen Lebensumstände der Tiere verbessern sich leider nur langsam. In Indien sehe ich konkret Fortschritte bei der Humane Society, die sich für die Abschaffung der Käfighaltung von Legehennen stark macht.
Sie reisen viel und geben Seminare und Workshops, welche Erfahrungen machen Sie mit den Teilnehmern?
Das ist ganz unterschiedlich, im Mai z.B. habe ich einen Workshop in Irland gegeben. Eine Frau aus Deutschland kam zu mir und bat mich um ein Gespräch. Sie erzählte mir, dass sie Herzprobleme habe, und sie war stark übergewichtig – die typischen Symptome bei «Normalkost». Ich erklärte ihr die Zusammenhänge von Ernährung und Gesundheit. Schliesslich wollte sie es auf einen Versuch ankommen lassen und entschied sich für die vegane Ernährung.
Welchen Problemen sah sich die Frau gegenüber?
Das waren emotionale Probleme, sie war etwas deprimiert und in ihrer Familie und ihrem Bekanntenkreis hat es gelegentlich Bemerkungen gegeben. Wir haben uns weiterhin über E-Mail ausgetauscht und ich habe sie immer bestärkt.
Was passierte weiter?
Im ersten Monat hat sie ungefähr fünf Kilogramm abgenommen und in den Monaten darauf noch einmal zehn Kilogramm. Nach einem Vierteljahr waren ihre Herzprobleme verschwunden und sie brauchte keine Medikamente mehr. Heute, nach gut einem halben Jahr, fühlt sie sich wunderbar. Das geht sicher nicht immer so einfach, aber dieser Fall zeigt das Potential einer gesunden Ernährung.
Wie laufen Ihre Workshops ab?
Ich möchte den Teilnehmern einen guten Überblick geben: theoretisch und praktisch. Damit sie auch gleich erleben, wie leicht und lecker veganes Essen sein kann, kochen und essen wir gemeinsam. Theoretisch behandle ich die Zusammenhänge von Ernährung, körperlichem Befinden und Gesundheit. Ich erkläre, wie der Körper auf verschiedene Nahrungsmittel reagiert, etwa dass ihn tierische Nahrungsmittel allgemein übersäuern und ermüden. In Einzelfällen, z.B. bei Milch, vermittle ich die Hintergründe, die zeigen, warum Milch kein gesundes Nahrungsmittel ist. Seit 1981 habe ich in Mumbai beobachtet, dass proportional zur Zunahme des Verzehrs von Milch und Milchprodukten die mentalen Krankheiten zugenommen haben. Ursache und Wirkung sind offensichtlich.
Wie funktioniert das Gesundheitssystem in Indien?
Das Gesundheitssystem hängt direkt mit der Pharmaindustrie zusammen. Die Krankenhäuser werden heute von Managern geführt, die überhaupt nichts mit Medizin zu tun haben. Die Ärzte handeln nach strikten Regeln und müssen sich an Profit orientierten Zielen ausrichten. Dass der Patient darunter leidet, wird auch einem Laien sofort klar. Wenn Krankenhäuser kostenlose Krebsvorsorge-Untersuchungen anbieten, ist das nicht, weil sie sich Sorgen machen, ob du Krebs hast oder nicht. Sie wollen schlicht die Ersten sein, die ihn entdecken und dann behandeln. Krebs ist eine der vielen hoch profitablen Krankheiten.
Was bedeutet für Sie der Einsatz von Medikamenten zur Behandlung von Krankheiten?
Die Menschen, die zu mir kommen, sollen so schnell wie möglich ihre Medikamente absetzen können; ganz gleich, an welcher Krankheit sie leiden: Bluthochdruck, Herzprobleme, Diabetes usw.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem SHARAN?
Die Menschen wenden sich immer mehr von den Tieren ab. Sie können ihnen nicht in die Augen schauen, weil sie wissen, dass jene früher oder später für die Ernährung getötet werden. Wir möchten, dass sich die Menschen wieder den Tieren zuwenden. Das nennen wir «Reconnection». Wer eine Verbindung zu Tieren hat, der wird keine essen.
© Guido Barth