Eine Welt voller vegan oder vegetarisch lebender Menschen wäre vor allem eine traurige Welt, schreibt Christina Berndt. Weshalb? Weil es ohne den Konsum von Nutztieren kaum noch welche geben würde, «die man bewundern und streicheln und denen man in die Kulleraugen sehen kann».
Ohne den Konsum von Nutztieren gäbe es keine Nutztiere. Dass es Nutztiere gibt, ist – solange diese ein glückliches Leben führen – gut und sollte gefördert werden. Also sollten Nutztiere konsumiert werden. Den Tieren zuliebe. Dieser Gedankengang wirkt problematisch? Ist er auch.
Mindestens zwei Überlegungsfehler stechen sofort ins Auge: Zum einen verschleiert Berndt, dass die allermeisten Nutztiere heute kein glückliches Leben haben. Sie schreibt, dass wir nicht nur das Leid, sondern auch das Glück der Tiere in Betracht ziehen sollten. Möglichst viele Nutztiere sollten ein glückliches Leben haben. Sollten wir deshalb möglichst viele Nutztiere halten? Diese Frage sollte angesichts dessen, wie wir die Nutztiere derzeit halten, verneint werden. Denn Tatsache ist, dass in der heutigen Nutztierhaltung eine verschwindend geringe Anzahl der Tiere so lebt, wie Tiere laut Berndt leben sollten. Es ist daher scheinheilig zu sagen, man setze sich für viele glückliche Tierleben ein, indem man Fleisch isst. Dies ist ein misslungener Versuch, den heutigen Fleischkonsum zu rechtfertigen.
Vielmehr geht es Berndt in erster Linie um uns Menschen. Wenn Berndt vom «Schutz vor Leid durch Nichtexistenz» spricht, taucht die Frage auf: Besteht ihrer Meinung nach eine moralische Pflicht, (empfindungsfähige) Lebewesen ins Leben zu bringen? Also auch Menschen? Oder nur solche Lebewesen, deren Fleisch man konsumieren kann? Einige Zeilen später kommt schliesslich die Antwort. Aus anthropozentrischer Sicht gesehen brauchen wir glückliche Tiere: «Beim nicht gelebten Leben von Tieren steht aber noch mehr auf dem Spiel als allein das Glück der Tiere. Es geht auch um das Glück der Menschen, die diese Tiere dann nicht mehr geniessen können». Kommen wir Menschen nicht mit Tieren in Kontakt, fehlt uns der Umgang mit ihnen. Wir können dann nicht lernen «fremde Wesen, auch wenn man sie nicht versteht, zu respektieren, sich auf die nonverbale Kommunikation mit ihnen einzulassen und mit ihnen umzugehen». Doch wohin hat uns das gebracht? 80 Millionen Nutztiere werden pro Jahr in der Schweiz getötet, nur sehr wenige davon hatten ein glückliches Leben. Tierliebe sollte daher nicht durch den Magen, sondern durch Kopf und Herz gehen!
Zum anderen bezeichnet Berndt VegetarierInnen und VeganerInnen als «natürliche Feinde all jener Tiere, die gezüchtet werden, um gegessen zu werden. Denn sie verhindern deren Leben». Berndt übersieht dabei die naheliegende Tatsache, dass wir auch Tiere halten können, ohne dass sie für unseren Konsum sterben müssen. Viele von uns leben mit ihren Katzen oder Hunden zusammen. Wie ein Zusammenleben mit verschiedensten Tieren aussehen könnte, stellen beispielsweise auch Will Kymlicka und Sue Donaldson in «Zoopolis» vor: Sheepville als Beispiel eines Ortes, an dem Menschen und Schafe so zusammen leben, dass sie voneinander profitieren können.
Eine Welt voller VegetarierInnen und VeganerInnen würde anders aussehen. Es wäre eine Welt, in der Tiere leben, die Leid und Schmerz aber auch Freude erfahren würden. Auf einem Ausflug würde man, statt, wie Berndt schreibt, bei der Familientour im E-Auto an Wiesen vorbeizufahren und Kälbchen zu sehen – die übrigens in Kälberiglus stehen und deren Mütter mit Antibiotika vollgepumpt sind und schmerzende Euter haben, mit dem Fahrrad an Schafen vorbeifahren, die grasen und für deren Pflege wir Menschen aufkommen, weil wir im Gegenzug ihre Wolle nutzen dürfen.