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Tieren eine politische Stimme geben

Schweizer Stimmbürger:innen können über Volksinitiativen abstimmen und das Referendum ergreifen. So können sie mitbestimmen, wie sie leben möchten. Und alle können eine Petition einreichen. Parlamentarier:innen setzen sich für die unterschiedlichsten Anliegen der Bevölkerung ein. Doch wer gibt den Tieren eine Stimme und vertritt ihre Anliegen?

Wer setzt sich politisch für Tiere ein?

Aktuell vertreten vorwiegend klassische Tierschutzvereine die Interessen der Tiere. Beispielsweise haben sie Einsitz in Tierversuchskommissionen – das heisst, sie beraten gemeinsam mit Vertreter:innen der Forschung und der Industrie darüber, ob Tierversuchsanträge angenommen oder abgelehnt werden. Dabei ergeben sich die unterschiedlichsten Probleme. Zum einen sind Tierschutzvereine häufig selektiv: Sie setzen sich für Haustiere und im besten Fall auch für Versuchstiere ein, jedoch nicht für Nutztiere. Ausserdem fordern sie lediglich Verbesserungen in der Tierhaltung, nicht jedoch ein grundlegendes Umdenken in unserem Umgang mit Tieren. Ein weiteres schwerwiegendes Problem besteht darin, dass solche Vereine oftmals politisch nicht aktiv sind (ausser der STS): Sie können Tieren auf politischer Ebene keine Stimme geben. Denn sie sind im Parlament praktisch nicht vertreten und haben auch kein Interesse daran, sich politisch zu beteiligen – sie kümmern sich in erster Linie um verletzte oder kranke Tiere in ihrem Tierheim. So können sie nicht mitwirken, wenn es darum geht, wie die Rahmenbedingungen für Tiere verändert werden sollen. Die Tiere sind daher darauf angewiesen, dass Parlamentarier:innen sich aus eigener Initiative für ihre Anliegen einsetzen.

Tierschutzpartei, Ombudsstelle und andere Möglichkeiten

Ein erster bedeutender Ansatzpunkt ist also, dass die Anliegen der Tiere überhaupt erst aufs politische Parkett gebracht werden. Denn oftmals fehlt die Eigeninitiative bei Parlamentarier:innen. Und wenn tierbezogene Themen diskutiert werden, dann treffen sie im Parlament oftmals auf grosses Desinteresse oder gar auf Abneigung. Zugegeben, die ideale Lösung scheint noch nicht greifbar zu sein. Eine Möglichkeit wäre eine (neue) Tierschutzpartei. Doch von Grund auf eine neue Partei zu gründen scheint wenig erfolgversprechend, denn wie schwierig es ist, genügend Mitglieder und politische Durchschlagskraft zu finden und erlangen, zeigt die bestehende Tierpartei Schweiz (TPS). Eine weitere Möglichkeit wäre eine Institution wie beispielsweise eine Ombudsstelle. Also eine Stelle, an die man sich wenden kann und die als unparteiische Stelle agiert und sich der vorgetragenen Anliegen annimmt. Doch hier kommt eine weitere Schwierigkeit ins Spiel: Die Tiere können ihre Anliegen nicht direkt selbst anbringen. Die Lösung wäre also eine Stelle, die sich proaktiv um die Anliegen der Tiere kümmert: Wenn etwas im Parlament diskutiert wird, sollte diese Stelle die Auswirkungen der Thematik auf die Tiere prüfen, bzw. untersuchen, wie sich die Tiere auf eine tierfreundliche Art und Weise miteinbeziehen lassen. So ist die Schweiz beispielsweise das erste Land in Europa, das den «Biber als Baumeister» miteinplant, um feuchte Wälder zu fördern.1

Allgemeine Rahmenbedingungen verändern

Doch auf der politischen Ebene kann noch mehr erreicht werden: Wir können nicht nur dafür sorgen, dass die Anliegen der Tiere in der Politik ernst genommen werden, sondern wir können die Situation für die Tiere auch indirekt verbessern. Zum Beispiel, indem wir uns dafür einsetzen, dass die Subventionspolitik verändert wird. Indem wir agrarpolitische Themen angehen, können wir die Rahmenbedingungen für viele Tiere verbessern. So wurden in der Schweiz im Jahr 2021 mehr als 83 Millionen Tiere, die in die Kategorie «Nutztier» fallen, geschlachtet.2 Das sind 2,6 Tiere pro Sekunde! Gerade in der Landwirtschaft können wir also vielen Tieren mit einfachen Massnahmen helfen. Zum Beispiel, indem die Geldflüsse verändert werden: Von den 2,8 Milliarden Franken, die von Steuerzahlenden an die Nahrungsmittelproduktion überwiesen wurden, flossen 82 Prozent in die Produktion tierischer Erzeugnisse, während nur 18 Prozent in der Pflanzenproduktion eingesetzt wurden.3 Das heisst, mehr als vier Fünftel der staatlichen Hilfe fliesst in die Produktion tierischer Erzeugnisse. Das steht nicht nur im krassen Widerspruch zur Ernährungsempfehlung des Bundes.4 Es wirkt auch der Schweizer Klimastrategie komplett entgegen.5 Wir sollten uns deshalb dafür einsetzen, dass das Geld umverteilt wird und so mehr Geld in Form von Subventionen in pflanzliche Produkte fliesst und weniger in tierische Erzeugnisse. Die Massentierhaltung wäre so wirtschaftlich nicht mehr rentabel und würde durch die pflanzliche Nahrungsmittelproduktion ersetzt werden. Dies würde auch auf anderen Ebenen Veränderungen auslösen: Pflanzliche Produkte wären schlussendlich im Supermarkt günstiger und tierische Erzeugnisse teurer. Und die Gesellschaft wäre sich wieder stärker bewusst, was die Produktion tierischer Erzeugnisse kostet – im besten Fall inklusive externer Kosten, sodass eine Verursachungsgerechtigkeit im Sinne der Kostenwahrheit herrscht.

Politik: Ansatzpunkt mit Hebelwirkung

Zurzeit ist die Bauernlobby in der Politik extrem stark vertreten – und die Tierschutz- und Tierrechtsvereine können kaum politischen Gegenwind erzeugen. Das macht es gleich doppelt schwierig: Es ist nicht nur so, dass der Tierschutz politisch noch kaum vertreten ist, sondern es kommt erschwerend hinzu, dass die Anliegen der Tiere, die doch irgendwie in die Politik getragen werden können, dort kaum Gehör finden. Wenn wir es jedoch schaffen, verstärkt politisch aktiv zu sein und so den nötigen Gegenpol zu schaffen, können wir auf politischer Ebene einiges bewirken. Denn die politische Ebene bietet eine grosse Hebelwirkung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass nebst Swissveg auch andere Tierrechtsorganisationen immer häufiger Petitionen einreichen und Parlamentarier:innen mit ins Boot holen. Es ist uns bewusst, wie wichtig es ist, mit Petitionen und Initiativen immer wieder auf Missstände aufmerksam zu machen und im besten Fall konkret etwas zum Wohle der Tiere zu verändern. Auch bei der Erarbeitung neuer Gesetze sollten die Anliegen der Tiere miteinfliessen, zum Beispiel in Form einer Vertretung bei der Vernehmlassung, also der Phase bei der Gesetzgebung, in der Vorhaben des Bundes auf ihre sachliche Richtigkeit, Vollzugstauglichkeit und Akzeptanz hin geprüft werden. Setzen wir an verschiedenen Punkten an, um den Tieren eine politische Stimme zu geben. Gemeinsam mit dem verstärkten rechtlichen Schutz, über den wir im vorherigen Artikel geschrieben haben, kann die Verbesserung der Situation der Tiere auf der politischen Ebene auch zu Veränderungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und auf wirtschaftlicher Ebene führen.

 

  1. Die Schweiz wird zum Biberparadies – das sorgt für Konflikte, SRF 06.06.2023, online.
  2. Der Fleischmarkt im Überblick 2021, Proviande, S. 37.
  3. Kosten und Finanzierung der Landwirtschaft, Vision Landwirtschaft, 2018, S. 12.
  4. Gesundheit vs. Fleischwerbung, Swissveg, Kampagne 2022.
  5. Klima vs. tierische Produkte, Swissveg, Kampagne 2022.
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