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Gesellschaftlicher Wandel

Einen sozialen Wandel hin zu einem veränderten Umgang mit Tieren und Umwelt zu erreichen ist sicherlich etwas, das viel Zeit in Anspruch nimmt. Dennoch ist es das Fundament dafür, einen veganen Lebensstil nachhaltig in der Schweiz etablieren zu können. Auch hier gilt es, an verschiedenen Punkten anzusetzen: Bewusste und unbewusste Veränderungen anzustossen, Denkmuster aufzubrechen, Wissen zu vermitteln, aber auch Emotionen anzusprechen.

Tierwohl und Umwelt bewegen

Die pflanzliche Ernährung rückt immer mehr in die Mitte unserer Gesellschaft. Das widerspiegelt ihre in den letzten Jahren stetig zunehmende Verbreitung: 2022 lebten rund 300’000 Jugendliche und Erwachsene in der Schweiz vegetarisch, rund 42’000 vegan.1 Eine wichtige Motivationsquelle für den Kauf eines pflanzlichen anstatt eines tierischen Produktes ist dabei der Schutz unserer Umwelt, wie der Coop Plant Based Food Report 2022 aufzeigt.2 Gerade unter vegan oder vegetarisch lebenden Personen sind es aber auch der Schutz der Tiere sowie ethische Gründe, die zum Kauf von pflanzlichen Produkten führen. Auch bei Abstimmungen zeigt sich, dass Umwelt- und Tierschutz einen wichtigen Platz einnehmen. So wurde im Rahmen der Massentierhaltungsinitiative (MTI) 2022 auch in der breiten Bevölkerung über das Tierwohl diskutiert. Dabei betrug der Ja-Stimmen-Anteil 37%, was über einer Million Stimmen entspricht.3 Auch bei der Trinkwasserinitiative 2021 betrug der Ja-Stimmen-Anteil 39%.4 Um den Bau des Ozeaniums in Basel – ein Riesen-Aquarium, das der Zolli (Zoo Basel) hatte bauen wollen – entstand 2019 eine hitzige Debatte. Mit knapp 55% Nein-Stimmen wurde dieses Projekt von der Stimmbevölkerung des Kantons Basel-Stadt deutlich abgelehnt – und damit ein klares Zeichen für die Tiere gesetzt.5

Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung

Fakten und bestehende wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gesellschaftsmitte zu tragen, ist ein wichtiges Mittel, um einen Wandel Schritt für Schritt voranzubringen. Erst kürzlich hat eine Image-Studie von Proviande bestätigt, dass ein Grossteil der Bevölkerung nur wenig über die industrielle Tierhaltung weiss: Im Jahr 2022 wussten 56% der von ihnen befragten Personen nicht, dass eine Kuh ein Kalb gebären muss, damit sie Milch produziert. Immerhin, das entspricht einer Steigerung gegenüber 2016, als es sogar noch 77% waren.6 Aufklärung hilft gegen das idealisierte Bild der Schweizer Tierhaltung, aber es ist noch mehr davon nötig. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist dabei auch das Zugänglichmachen wissenschaftlicher Erkenntnisse für die breite Öffentlichkeit – und am besten natürlich auch direkt für die Politik. Denn die Wissenschaft unterstützt unsere Vision zu grossen Teilen, im Speziellen, wenn es um unsere Umwelt geht. So hat beispielsweise Ernährungszukunft Schweiz anlässlich des Ernährungsgipfels einen Leitfaden verfasst. Darin fordert das wissenschaftliche Gremium «eine starke Reduktion des Fleischkonsums».7 Ausserdem verlangt es konkrete Massnahmen, wie beispielsweise die «Streichung öffentlicher Förderung von Werbung und Marketing für Fleischprodukte».8 Diese wissenschaftliche Grundlage sollten wir für die breite Bevölkerung sichtbar machen: Wir wollen niemandem aus Spass sein Stück Fleisch vom Teller nehmen. Vielmehr macht es aus ethischer wie auch aus Umweltschutz-Perspektive Sinn, wie unterschiedlichste Wissenschaftler:innen immer wieder betonen. Es ist also Aufklärung nötig, damit die Menschen informiert sind, aber auch, damit sich auf politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Ebene etwas ändern kann.

Wissen und eine motivierende Kraft

Wissen ist also ein grundlegender Aspekt. Dieses Wissen soll möglichst viele Leute erreichen. Doch Wissen allein reicht nicht. Es braucht auch eine intrinsisch motivierende Kraft. Etwas, das uns entsprechend dem Wissen, das wir haben, handeln lässt. Das heisst, wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Und wir müssen nicht jede Person von unserer Vision einer veganen Welt überzeugen. Viele Menschen haben ein Herz für Hunde und Katzen. Oftmals auch für Versuchstiere. Doch gerade Nutztiere gehen dabei oftmals vergessen. Es gilt also bei dieser vorhandenen Empathie anzusetzen und daran zu arbeiten, dass diese Empathie auch auf andere Tiere ausgeweitet wird. Dies impliziert aber auch eine gewisse Sichtbarkeit der Tiere. Jedoch leben beispielsweise rund 40 Prozent der Schweine in konventioneller Haltung. Werden die Betriebe mit Förderprogrammen dazugezählt, sind es knapp 70 Prozent. Bei konventionellen Schweineställe ist jedoch weder Auslauf noch Einstreu vorgeschrieben.9 Doch darüber denken viele Menschen gar nicht nach, schliesslich kommen die Schweine nicht so oft in der Werbung vor, wie die Swissmilk-Kuh Lovely. Wo sonst als abgepackt im Supermarkt oder zubereitet auf dem Teller begegnen wir Schweinen und können sie als Individuen mit eigenen Bedürfnissen und Persönlichkeiten kennenlernen und mit ihnen mitfühlen?

Unsichtbare Denkmuster beleuchten

Haus-, Versuchs- und Nutztiere. Wir unterteilen Tiere in verschiedene Kategorien. Dabei kann ein Kaninchen einmal Haustier sein, einmal Versuchstier und einmal Nutztier. Und jedes Mal begegnen wir ihm dabei mit anderen Gefühlen. Dieses unsichtbare Glaubenssystem, das uns Menschen darauf konditioniert, bestimmte Tierarten zu verzehren und andere zu verhätscheln, nennt Sozialpsychologin Melanie Joy «Karnismus». Indem dieses Glaubenssystem benannt und sichtbar gemacht wird, können wir unseren Umgang mit Tieren reflektieren und ändern. Nicht nur mit unserer Denkweise, sondern auch mit unseren Sprachbildern und Redewendungen nehmen wir oft Bezug auf Tiere, stellen sie jedoch auf eine bestimmte Art und Weise dar, die impliziert, dass wir sie nutzen dürfen. Dabei liessen sich gewisse Fleischmetaphern problemlos ersetzen, wodurch unser Denken in eine andere Richtung gelenkt werden könnte.10 Beispielsweise ist der Bezug auf Schweine in diesem Satz unnötig: «Das kann kein Schwein lesen». Ein schlichtes «Das kann ja niemand lesen» reicht völlig aus. Indem wir über etwas nachdenken, können wir bewusste Entscheidungen treffen und so bewusste Veränderungen anstossen. Wir sollten aber auch unbewusste Anreize schaffen, denn diese sind omnipräsent: Zum Beispiel könnte das pflanzliche Menü als Standard-Menü in Personalrestaurants gelten. Oder es wird ein finanzieller Anreiz geschaffen, wie es auf der wirtschaftlichen Ebene möglich ist – und im nächsten Artikel erläutert wird.

 

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