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Berggebiete

Viele Karnivoren verweisen bei Kritik an ihrem Fleischkonsum darauf, dass in Berggebieten ausser Fleisch nichts produziert werden könne und es deshalb ökologisch Sinn mache, Fleisch zu konsumieren. Um diesem Missverständnis abzuhelfen wird an dieser Stelle aufgeführt, was sich in den Bergregionen wirklich idealerweise anbauen liesse.1

Sensible Berggebiete

Die Schweizer Berge sind ökologisch sensible Gebiete. Die mageren Bergwiesen sind gerade aus diesem Grunde besonders erhaltenswert, denn sie bieten Raum für eine vielzahl selterner Pflanzen- und Tierarten.
Die dünne Vegetationsschicht der Alpen ist nicht dazu geschaffen, das zehnfache Gewicht der natürlichen Bergbewohner (Gämsen, Steinböcke) zu tragen.2 Nebst dem schweren Gewicht der Rinder werden die mageren Berggebiete durch die Fleischproduktion auch durch die viel grösseren Nitratmengen aus den Exkrementen der Rinder belastet. In der Vergangenheit waren diese Einflüsse recht klein, da nur jeweils wenige Bergbauern mit wenigen Tieren auf den Alpen lebten und weder Kunstdünger noch tierische Fäkalien (als Dünger) aus dem Tal herauftransportiert wurden.

Der heutige Fleischmarkt (d.h. die Konsumenten) verlangt jedoch nach viel und billigem Fleisch. Diese unrentablen Mengen können aber mit sanften Tierhaltungs-Methoden nicht produziert werden. Deshalb werden auch in den Alpenregionen nicht nur die dort heimischen Wildtiere immer mehr durch die sogenannten Schlachttiere verdrängt, sondern es wird zunehmend auch die Pflanzenwelt, welche auf magere Böden angewiesen ist, gefährdet.

Wirtschaftlichkeit

Das Argument, dass man in den Schweizer Alpen kaum etwas anderes als Fleisch und Milch produzieren kann, beruht oft auf dem Rentabilitätsgedanken: nur mit der Produktion tierischer Produkte verdienen die Bauern genügend, um ihr Leben zu sichern. Es trifft jedoch nicht zu, dass Bergbauern von Fleisch (und Käse) alleine leben können. 
Was die Wirtschaftlichkeit der Berggebiete für die Fleischproduktion anbelangt, reicht bereits ein Blick auf die Subventionszahlen. Trotz den hohen Landwirtschaftssubventionen an die Bauern im Tal brauchen alle Fleischproduzenten in den Bergen zusätzliche finanzielle Hilfen, um wirtschaftlich überleben zu können. Es lohnt sich also weder aus ökologischer noch aus wirtschaftlicher Sicht, so weit oben Tiere zur Fleischproduktion zu halten.

Vergandung / Verwilderung

Ein weiteres oft vorgebrachtes Argument ist, dass die Berglandwirtschaft eine Vergandung der Berggebiete verhindert. 
Um dies genauer betrachten zu können, muss man sich zuerst einmal im Klaren sein, was man unter «Vergandung» versteht: Mit diesem Wort wird in der Schweiz das Verwildern, insbesondere von Berggebieten, bezeichnet. Mit anderen Worten: Verbuschung und Verwaldung.
Das Wort wird praktisch immer als negativer Ausdruck verwendet. Dies geht so weit, dass man Reglemente zur Verhinderung der Vergandung erlassen hat. Mit welchen «Problemen» die Bekämpfer der Vergandung zu tun haben, zeigt die Einleitung zum Reglement gegen die Vergandung der Gemeinde Staldenried:3
«Es kommt immer vermehrt vor, dass der aufgehende Graswuchs weder geerntet noch entfernt wird. Dadurch wird die Brandgefahr erheblich erhöht. Das gepflegte Ortsbild wird negativ beeinträchtigt. In ungeernteten Wiesen und Weiden sammelt sich alles Ungeziefer an.»
Selbst naturbelassene Wiesen, welche Unterschlupf für viele Insekten bieten, werden somit bereits als bekämpfungswürdige «Vergandung» bezeichnet. Blühende Landschaften werden als Unkraut betrachtet.4
Doch zurück in die Berge: Hier sollte doch der Umweltschutzgedanke etwas stärker ausgeprägt sein? Ein Argument, das hier gegen die Vergandung vorgebracht wird, ist, dass die Lawinengefahr steigt, wenn man die Wiesen nicht mäht (um daraus Futter für die Schlachttiere zu machen) oder abweiden lässt, weil auf nassem, niedergedrücktem Gras der Schnee nur schlecht hält. Auch dies klingt auf den ersten Blick logisch. Wenn man sich aber vor Augen hält, was damit in erster Linie langfristig verhindert wird (die Verbuschung und Verwaldung), dann ist das Lawinenargument kaum noch haltbar. Gerade wegen Weiden in hohen Lagen wurden auch dort der Wald und die Büsche und damit auch die dort heimischen Wildtiere zurückgedrängt. Und oberhalb der Waldgrenze die schweren Rinder weiden zu lassen, anstatt dieses Gebiet den viel leichteren und besser angepassten Wildtieren zu überlassen, kommt für die Verfechter der Berglandwirtschaft leider auch nicht in Frage. Durch die Jagd und die Anwesenheit der Bergbauern werden die heimischen Tiere zurückgedrängt, wodurch die natürliche Abweidung der Alpregionen längst kaum noch ausreichend stattfindet. Man schafft sich also ein Problem durch die Jagd und erhält ein Argument für die wirtschaftliche Ausbeutung der Berge. Wenn man sich die Lage neutral ansehen würde, gäbe es bestimmt auch noch ganz andere Lösungen (siehe weiter unten).
Die einzige Frage in Bezug auf eine mögliche Vergandung ist aber immer: Wie kann man sie verhindern? Nie wird danach gefragt, ob man sie überhaupt verhindern sollte oder gar welchen Nutzen eine Verwilderung für die Natur bringen würde.

Mythos Berggebiete

In der Schweiz ist die Berglandwirtschaft zu einem Mythos geworden. Jede Kritik daran kommt schon fast einem Landesverrat gleich. Nicht nur mit Steuergeldern wird deshalb dafür gesorgt, dass sich dort oben nichts ändert, sondern auch durch diverse Organisationen, die reichlich Spendengelder dafür sammeln (Stichwort: Berghilfe). Es geht in diesem Artikel nicht darum, die Berggebiete völlig zu entvölkern (obwohl dies für die dortige Flora und Fauna an manchen Orten sicher eine Erleichterung sein könnte), sondern darauf aufmerksam zu machen, dass die Art der heutigen Nutzung dieses Gebietes verfehlt ist und somit sicher nicht als Begründung für den Fleischkonsum dienen kann.

«Dieselbe Strecke Landes, welche als Wiese, d.h. als Viehfutter, zehn Menschen durch das Fleisch der darauf gemästeten Tiere aus zweiter Hand ernährt, vermag, mit Hirse, Erbsen, Linsen und Gerste bebaut, hundert Menschen zu erhalten und zu ernähren.»

Alexander von Humboldt (1769–1859)

Alternativen

Das Schweizer Bundesamt für Landwirtschaft (BLW)5 schreibt in seiner Selbstdarstellung: Das BLW leistet einen wesentlichen Beitrag zur dezentralen Besiedlung des Landes. Damit ist natürlich nicht zuletzt die Besiedlung der hintersten Winkel der Schweizer Alpen gemeint. Wenn man als Rahmenbedingung also akzeptieren würde, dass es die Pflicht der Steuerzahler ist, die wenigen Menschen, welche in hohen Bergregionen leben möchten, zu finanzieren, bleibt die Frage, ob es dort Alternativen zur Fleisch- und Milchproduktion gibt. 
Solche Alternativen gibt es tatsächlich. Sie sind aber kaum in den offiziellen Lehrbüchern der Landwirtschaft zu finden und werden auch von den Bauernorganisationen nicht propagiert (abgesehen von bestimmten touristischen Tätigkeiten). 
Das System der heutigen Berglandwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten durch die Subventionspolitik festgefahren. Deshalb werden noch heute Produkte erzeugt, die nicht konkurrenzfähig sind und dennoch grossen Arbeitsaufwand ergeben. In jedem anderen Beruf hätte man längst nach profitableren Alternativen Ausschau gehalten, weil man nicht auf die Subventionierung der Steuerzahler zählen kann. 
Glücklicherweise gibt es aber auch unter den Bergbauern Aussteiger, die sich nicht mehr länger von den Steuerzahlern finanzieren lassen wollen. Hier deshalb ein Beispiel, wie eine Alternative zur heutigen ausschliesslich auf Tierhaltung fixierten Berglandwirtschaft aussehen könnte:

Der Krameterhof

Auf einer Höhe von 1000 bis 1500 m liegt in den Alpen im österreichischen Lungau der Krameterhof von Sepp Holzer. Weder er noch seine Pflanzen halten sich an die Regeln, die in den landwirtschaftlichen Lehrbüchern vermittelt werden. Auf heute bereits über 45 ha Land, welches meist steil und steinig ist, hat er nebst unzähligen Gemüsesorten, Kräutern etc. rund 15'000 Obstbäume gepflanzt. Selbst Kiwis wachsen und reifen auf seinem nach den Prinzipien der Permakultur angelegten Hof. Der Österreichische Rundfunk nahm dieses Phänomen zum Anlass, ein Feature über diesen Hof zu senden. Der Titel: «Zitronen von der Alm – Die naturkundliche Rebellion des Sepp Holzer».6 Viele Studenten und ganze Schulklassen besuchen seinen Hof, um mit eigenen Augen zu sehen, was möglich ist, wenn man von den festgefahrenen Lehrmeinungen der Landwirtschaft abweicht. Obwohl (oder gerade weil!) dort vieles genau im Gegensatz zur offiziellen Lehrmeinung gemacht wird, ist die Ernte ausgezeichnet. Trotz der sehr hohen Lage mitten in den Alpen. 
Für alle, die sich näher mit einer solchen wirklich nachhaltigen Landwirtschaft befassen möchten, gibt es bereits mehrere Möglichkeiten: 
Besuchen Sie die Internetseite des Hofes: www.krameterhof.at 
Seine Geschichte ist auch in Buchform erhältlich: Sepp Holzer – Der Agrar-Rebell, 240 Seiten, 30 Bildseiten, ISBN 3-7020-0970-1.

Renato Pichler

  1. Grundsätzlich muss an dieser Stelle noch angeführt werden: Der Anteil des Fleisches aus den Bergregionen gegenüber dem Fleisch aus den Talgebieten ist verschwindend klein. Der überwiegende Anteil des Schweizer Fleisches wird in Gebieten produziert, wo problemlos auch pflanzliche Nahrung angebaut werden könnte. Eine mögliche Erklärung für den unsachgemässen Gebrauch dieses "Argumentes" könnte darin liegen, dass sich Fleischkonsumenten ungern das idyllische Bild der Bergbauern, welche auf der Alp ihr Fleisch hüten und beim Namen nennen, nehmen lassen. Die Erinnerung an Tierfabriken bei Verzehr eines tierischen Produktes - auch wenn eigentlich logisch richtig - geschieht ungern. Auch wenn dieser Zusammenhang eigentlich bewusst ist. Und deshalb wohl hält der Mythos der Bergregionen Bestand.
  2. Gehören Rinder auf die Alpen? Körpergewicht der Tiere:
    Steinbock: 75 bis 120 kg
    Gämse: 30 bis 60 kg
    Kuh: 500 bis 800 kg
    Stier: 800 bis 1150 kg
  3. Zum Beispiel Reglement zur Verhinderung der Vergandung der Gemeinde Staldenried, www.staldenried.ch/pdf/vergandung.pdf
  4. www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=572171
  5. Homepage des Bundesamtes für Landwirtschaft: www.blw.admin.ch.
  6. Diese Sendung kann beim Österreichischen Rundfunk, ORF-Shop, Argentinierstr. 30a, 1040 Wien auf CD bestellt werden: «Zitronen von der Alm – Die naturkundliche Rebellion des Sepp Holzer», ein Feature von Ernst Weber. Im Internet unter: http://shop.orf.at.
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