Immer wieder wird in Zeitungsartikeln betont, wie streng das Tierschutzgesetz in der Schweiz und wie nachhaltig Schweizer Fleisch ist – finanziert von Proviande. Dieses beschönigende Bild bedarf einer Einordnung.
Nur die halbe Wahrheit
Im Artikel «Haben es Nutztiere in der Schweiz besser als Tiere im Ausland?», der am 7. August 2023 bei Watson erschienen ist, steht folgendes geschrieben: In der Schweiz sei das Kürzen von Körperteilen bei Schweinen und Hühnern verboten. Dabei wird aber verschwiegen, dass es zum Beispiel bei Lämmern erlaubt ist. Auch die «strengen» und «unabhängigen» Kontrollen werden angesprochen. Ohne ausreichende Kontrollen ist selbst das beste Tierschutzgesetz der Welt wertlos: In den Jahren 2018 und 2019 liess das BLV 10 Prozent der Schlachtbetriebe überprüfen, das waren 67 Schlachtbetriebe. Dabei wurde festgestellt, das knapp die Hälfte der Grossbetriebe und die Mehrheit der Betriebe mit geringer Kapazität Mängel in den drei Bereichen Unterbringung über Nacht, Betäuben und Entbluten aufweisen.1 Wie selten kontrolliert wird und wie oft dabei Mängel festgestellt werden, ist jedoch vielen nicht bewusst. Sogar die aktuelle Imagestudie von Proviande bestätigt, dass die meisten Menschen wenig darüber wissen, wie die industrielle Tierhaltung abläuft. Beispielsweise hat nicht einmal die Hälfte aller Befragten gewusst, dass eine Kuh ein Kalb haben muss, um Milch zu geben.2
Vergleich mit Ausland hinkt
Besonders hervorgehoben wird die vermeintliche Tatsache, dass Tiere es in der Schweiz besser haben als im Ausland. Doch dieser Vergleich hinkt, denn aufgrund der komplexen Vorschriften und der unterschiedlichen Vollzugssysteme – sowie ein Mangel an Daten – ist ein solcher Vergleich nahezu unmöglich.3 Wenn also verglichen wird, sollten auch Aspekte angesprochen werden wie der in der Schweiz fehlende Schutz des Lebens, der beispielsweise in Deutschland existiert: So wäre es in Deutschland nicht erlaubt, die eigene Katze einschläfern zu lassen, nur weil man nicht mehr für die Tierarztkosten aufkommen möchte.
Beispiel «Schweinekrise»
Einige der Mängel der Schweizer Tierhaltung hat die sogenannte «Schweinekrise» im letzten Jahr beispielhaft aufgezeigt: Als die Nachfrage nach Schweizer Schweinefleisch zu Beginn der Coronapandemie leicht anstieg, haben die Schweizer Schweinezüchter:innen die Produktion enorm hochgefahren. Als die Nachfrage bald wieder einbrach, wurde die «Produktion» nicht rechtzeitig angepasst, und in den Schweineställen wurde es immer enger. Bereits unter normalen Umständen dürfen bis zu zehn Schweine auf einer viel zu kleinen Fläche von «der Grösse eines Autoparkplatzes» gehalten werden, sodass die immer grösser werdenden Schweine im letzten Jahr schliesslich kaum noch Bewegungsfreiheit hatten, immer gestresster wurden und unter zunehmend unhygienischen Bedingungen leben mussten. Die Vorschriften konnten gemäss Schweizer Tierschutz unmöglich eingehalten werden, sogar das Veterinäramt schlug Alarm.4, 5
Dr. Bettina Huber, Swissveg, Niederrohrdorf
1. Tierschutz und Fleischkontrolle in Schlachtbetrieben. (2020). Eidgenössisches Departement des Innern EDI und Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF.
2. Proviande. (2023). Studie zum Fleischkonsum zeigt: 72 % haben sehr grosses Vertrauen in Schweizer Fleisch.
3. Baur, P. & Nitsch, H. (2013). Umwelt- und Tierschutz in der Landwirtschaft: Ein Vergleich der Schweiz mit ausgewählten europäischen Ländern unter besonderer Berücksichtigung des Vollzugs. Studie im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW.
4. Christen, M., NZZ Magazin. (2023). Schweizer Schweine leider unter Platznot.
5. Mennig, D. & Cetojevic D., Saldo. (2023). Industrie verramscht Schweinefleisch ins Ausland – auf Kosten der Steuerzahler.