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Der alltägliche Speziesismus

Unser Umgang mit Tieren ist ein ethisches Verbrechen und ein faktischer Wahnsinn

Rinderwahnsinn, Schweinepest, Maul- und Klauenseuche: Wer die Zeitung aufschlägt oder den Fernseher einschaltet und die Berichte und Kommentare zu den gräßsslichen Bildern liest oder hört, könnte meinen: Für die Tiere ist jetzt aber eine besonders schlimme Zeit angebrochen. Dieser Eindruck ist völlig falsch. Leider: Es wird lediglich jetzt erst sichtbar, was bereits seit Jahrzehnten das alltägliche Schicksal der Tiere ist: Terror, Folter und Tod. Dass die Tiere jetzt nach ihrem Martyrium verbrannt anstatt gegessen werden, ist für sie belanglos.

Dennoch ist die jetzige «Krise in der Landwirtschaft» alles andere als bedeutungslos: Nie zuvor wurde die Schamlosigkeit, Brutalität und Allgegenwärtigkeit des menschlichen Speziesismus so offenkundig: Die Ausbeutung von leidensfähigen Lebewesen einzig und allein deshalb, weil sie zu einer anderen biologischen Spezies gehören – und sich nicht wehren können. 

Was ist Speziesismus

Dieser Speziesismus ist moralisch um nichts weniger fragwürdig als es Rassismus und Sexismus sind, übertrifft letztere in seinen Dimensionen aber um ein Vielfaches: Zu keiner Zeit wurden so viele Menschen auf so schreckliche Weise mit so perfekten Methoden so systematisch massakriert, wie dies heute mit Tieren geschieht. 
Die Menschheit gleicht einem grenzenlosen Egoisten, dem es glänzend geht, der sich aber dennoch weigert, auch nur einen kleinen Finger zu krümmen, um anderen unnötiges und unvorstellbares Leid zu ersparen: Wir könnten uns problemlos vegetarisch ernähren, wollen aber dennoch keinesfalls auf Fleisch verzichten. 
Dieses Verhalten ist nicht nur moralisch widerwärtig, sondern auch faktisch kurzsichtig und dumm: Die Fleischproduktion bedeutet auch für uns nur Nachteile: Eine immense Ressourcenvergeudung (bei pflanzlicher Ernährung könnten wir zehnmal soviel Menschen ernähren) und eine verheerende Umweltzerstörung (Grundwasserverseuchung, Regenwaldzerstörung, Treibhauseffekt – um nur einige Stichworte zu nennen). Ganz zu schweigen von den immensen gesundheitlichen Vorteilen einer vegetarischen Lebensweise. 

Speziesismus im Alltag

Die moralische Ungeheuerlichkeit unseres Speziesismus gegenüber Tieren soll noch anhand zweier weiterer Tatsachen verdeutlicht werden: 
Während wir Wohlbefinden und Komfort für den Menschen durch immer raffiniertere Erfindungen und Konzepte zu steigern trachten (Luxusautos, -schiffe, -flugzeuge, -hotels, der gesamte widerliche «Wellness»-Kram, usw.), arbeiten wir mit ebensolchem Elan an der weiteren Automatisierung und Perfektionierung der Ausbeutungs- und Hinrichtungs-Apparaturen für die Tiere. Und: Während wir kranke Menschen mit Blaulicht ins Krankenhaus fahren, prügeln wir kranke Tiere mit Elektroschocks und Eisenstangen ins Schlachthaus. 
Weil die barbarische Brutalität unseres Umgangs mit Tieren noch nie so offenkundig war, waren auch Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit des Nichtwissens um diese Brutalität noch nie so gering. Wer weiterhin Fleisch isst, tut dies nicht, weil er nicht weiss, was er damit Tieren antut, sondern weil er es nicht wissen will – oder weil es ihm egal ist. 
Deshalb ist es ebenso erstaunlich wie erschütternd, dass so viele Menschen jetzt lediglich (aus gesundheitlichen Gründen) beim Fleischessen umsteigen und nur so wenige (aus moralischen Gründen) aus dem Fleischessen insgesamt aussteigen. Und das bedeutet nichts Gutes: «Solange es Schlachthäuser gibt», sagte Leo Tolstoi, «wird es auch Schlachtfelder geben.» Dieser Satz wird täglich wahrer: Je grösser das Wissen eines Menschen um ein Verbrechen, das er duldet, ist, desto roher und im Grunde gefährlicher wird dieser Mensch wohl auch sein. 
Dennoch: Jeder kann jederzeit mit dem Fleischessen aufhören und damit jenen Schritt setzen, der ihn vom mitwissenden Täter zum mitfühlenden Menschen macht.

© Helmut F. Kaplan

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