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Als VEG in Japan

Seit fünf Jahren habe ich die Möglichkeit, bei Ananda Tyrell (Swissveg Mitglied) zu lernen, im Einklang mit der Natur zu leben. Nachdem ich auch am Europäischen Institut für Qi Gong studiert hatte, bin ich nach Japan gereist, um die Shikoku-Pilgerfahrt zu machen und wie die Zen-Mönche in den Tempeln zu leben. Viel habe ich gehört von diesem Land und seiner Spiritualität (Zen, Shinto und andere). Um mir diese Reise aber leisten zu können, musste ich schon viele Monate vorher sparsam wie ein Mönch leben!

Pilgerfahrt Henro

Eine Woche nach der Landung war ich bereits auf der Pilgerfahrt, Henro genannt, welche 88 Tempel beinhaltet. Es sind die Shikoku-Buddhist-Tempel, die sich in Japan grosser Anerkennung erfreuen. Sie wurden zu Ehren Kôbô Daishis errichtet, welcher den Buddhismus nach Japan gebracht hatte. Diese Pilgerfahrt erstreckt sich über 1400 km um die Insel herum, ein ca. 2-monatiger Marsch durch Berge und Täler, Wälder und Dörfer, auf Natur- und Asphaltwegen, mit Luftqualitäten von wunderbaren Blumen- und Pflanzengerüchen bis hin zum Gestank der Grossstädte. Es gibt Pilger, die ihr ganzes Leben lang auf Pilgerfahrt bleiben. Einen solchen habe ich getroffen, einen Künstler, der bereits seit 30 Jahren unterwegs ist, seine 73. Tour! Er gehört bereits zu den wenigen Ausnahmen, denn die meisten heutigen Pilger bewegen sich mit Hilfe von Bussen, Taxis oder sogar mit Helikoptern.

Fokus auf Tiere und ihre Behandlung durch den Menschen

Mit dem Lebensnotwendigen in meinem Rucksack (tägliche Dusche: eine 2-Liter-Flasche) habe ich mich also auf diesen Pfad begeben. Als ich schon nach kurzer Zeit meines Marsches ein verzweifeltes Tier, eingeschlossen in einem Eisenkäfig, antraf, nahm ich dies als Zeichen, mich auf die Behandlung der Tiere zu konzentrieren.

Ich habe begonnen, Fotos zu machen, Fotos als Zeugen der misshandelten Tiere in diesem Land, leider wurden es immer mehr.
Die Angst der Tiere vor den Menschen sitzt sehr tief, ihre Skepsis, wenn man ihnen nahe kommt, ist verständlich angesichts der Brutalität, die sie erleiden müssen.
Auf dieser so berühmten spirituellen Route kam ich an Schlachthöfen vorbei, und die Schreie der sterbenden Schweine erschütterten mich. Den Waldrändern entlang wurde ich oft von Schüssen der Jäger erschreckt und die Vögel wurden aufgescheucht.
Der ganze Südstrand ist felsig und besteht aus kommerziellen Häfen. Wegen des ekelerregenden Gestanks der Fischkadaver musste ich schnell weiterziehen, und so war ich schliesslich 18 Stunden nonstop unterwegs. Ich kam sogar an einem Restaurant vorbei, in dem ausschliesslich Spezialitäten aus Walfleisch angeboten wurden; die japanischen Touristen standen Schlange.
Von da an fing ich an, mich auf eine Welt zu konzentrieren, wo Menschen keine Tiere mehr töten und essen. So habe ich am Tag darauf diesen Pilgermarsch, vertieft in Meditation und Schweigen, fortgesetzt, ein Schweigen, das 46 Tage dauern sollte.

Erster afrikanischer Henro-Pilger

Zufällig oder synchronisch mit meinem Ziel kam ich zu einem Tempel ausserhalb der vorgeschriebenen Route. Durch das grosse Erstaunen der Mönche über meine Herkunft (ich war der erste afrikanische Henro-Pilger) hatte ich eine Vision: Ich würde im letzten Tempel ankommen, es würden Journalisten da sein und ich sah mich ein Gewand tragen mit einer Nachricht drauf. Einige Tage danach betrat ich ein Geschäft, das sich als T-Shirt-Aufdruckladen herausstellte. In zwei Stunden kreierten die Verkäufer mein Gewand mit der Vegi-Botschaft und dem Logo. Das war mein schönstes Geburtstagsgeschenk (es war mein 25.)!
Ich hatte Renato Pichler (Swissveg-Präsident) kontaktiert für Adressen und das Label, welches in Japan noch nicht eingeführt ist. Jedes Mal wenn ich in einer Stadt war, benutzte ich die Internet-Cafés, um alle Tierorganisationen sowie auch den WWF und den japanischen Verein für Vegetarismus einzuladen, an «der Ankunft des ersten afrikanischen Pilgers im 88. Tempel» dabei zu sein.
Abends, in meinem Zelt, schüttelte ich mir meine Ankunftsrede praktisch aus dem Ärmel:

Ich bin zu den 88 Shikoku-Tempeln gepilgert, aus Mitgefühl für die Tiere in absolutem Schweigen.
Heute beende ich meine Schweigezeit mit folgenden Worten:
Wir werden, was wir essen.
Wenn wir Tiere essen, essen wir Leid und Tod und so werden wir Leid und Tod.
Wenn wir Früchte und Samen essen, nehmen wir Lebensenergie auf und wir werden Energie und Leben.
Wenn wir ein Stück Fleisch in die Erde legen, zerfällt es.
Wenn wir einen Samen oder ein Korn in die Erde legen, wächst daraus eine Pflanze oder ein Baum!
Die Erde hat uns ihr ganzes Pflanzenreich zum Essen und Heilen gegeben, wir brauchen keine Tiere zu töten.
Tiere sind keine Ernährung für Menschen.
Früher waren die Japaner praktisch Vegetarier, aber durch den Einfluss des materialistischen Glaubens des Westens haben sie, gleich den Afrikanern, nach der Kolonisation angefangen zu glauben, dass Fleisch zur menschlichen Ernährung gehöre. Das Gegenteil ist wahr: Der Fleischkonsum zerstört unseren Körper, unseren Geist und unseren Planeten!
Zivilisationskrankheiten, der Welthunger sowie die zunehmenden ökologischen Katastrophen sind Konsequenzen unseres Fleischkonsums (schauen Sie sich einmal die Webseiten der vegetarischen Organisationen an, dort werden Sie alle wissenschaftlichen Fakten darüber finden). Der Fleisch- und Fischkonsum der reichen Länder ist Hauptgrund für die Hungersnot in Afrika und in andern armen Ländern der Welt. Natürlich sprechen die Medien nicht von diesen Zusammenhängen, Grund ist die enorm grosse Macht der Fleisch-, Milch- und Pharmaindustrie. 
Vegetarier werden ist nicht mehr nur eine persönliche Sache, sondern ist eine globale Notwendigkeit geworden.
Entlang dem gesamten Pilgerweg sah ich immer wieder die Aufschrift: «Möge Frieden auf Erden herrschen».
Doch bevor Frieden in der Welt herrschen kann, muss Frieden in unserem Teller herrschen …

«Möge Frieden auf Erden herrschen».

Schritt für Schritt näherte ich mich dem letzten Tempel. Bekleidet mit meinem beschrifteten Leintuch, zog ich viele neugierige Blicke auf mich. Manchmal waren sie misstrauisch und sogar aggressiv, meist aber flüchtend, denn in der japanischen Kultur gilt die Fixierung per Augenkontakt als unanständig. Noch immer hatte ich keine Antwort der benachrichtigten Organisationen bekommen, umso überraschter war ich bei meiner Ankunft im Tempel über die Anwesenheit eines Fernsehteams. Als sie mich sahen, richteten sie ihre Kameras auf mich und so hatte ich die Gelegenheit, meine Vision zu realisieren und meine Botschaft zu verkünden, worauf sie mir versicherten, dass diese Aufzeichnung in einer Woche im Fernsehen ausgestrahlt würde.
Einmal mehr wurde mir bestätigt, dass wir die Regisseure unseres Lebenstheaters sind …
Von allen kontaktierten Organisationen hat sich nur eine bei mir rückgemeldet:

«Es ist sehr schwierig, in Japan für den Vegetarismus Werbung machen zu können, und überhaupt ist unser Land im Hintertreffen, was den Vegetarismus und den Tierschutz angeht, wenn man das mit der europäischen Bewegung vergleicht.»

Tatsächlich kann Japan zwar als Hauptmacht der Technologie in der Welt gelten, jedoch in humanistischen und ökologischen Belangen ist das Gegenteil der Fall …

Elektronik und Ökologie

Die Grossstädte sind Betongebilde, bei denen Bäume, Parks und Pflanzen nicht einkalkuliert wurden. Aber auch wenn Früchte in den Grossstädten sehr teuer sind (Tokio ist die teuerste Stadt der Welt), kann man in ländlichen Gegenden gesundes Essen zu günstigen Preisen finden. Der grösste Teil der Bevölkerung bevorzugt westliche Produkte, vom Fleisch bis zum Pelzmantel und zu den chemischen Getränken, welche übrigens alle von der Coca-Cola-Industrie aufgekauft wurden (sogar der japanische Grüntee, welchen man an den Getränkeautomaten kaufen kann, ist Eigentum dieser mafiösen Gesellschaft). Sowie man sich den Städten nähert, vermehren sich die McDonald’s und die Salatteller werden rar. In Tokio gab es in einem indischen Restaurant nicht einmal ein vegetarisches Menü! Die meisten Menschen, die in den Metropolen wie Tokio aufgewachsen sind, waren weder in der japanischen Landschaft noch haben sie je ein Wildtier zu Gesicht bekommen. Die Kinder wachsen mit Plastikspielzeugen und künstlich hergestellter Nahrung auf, die Elektronik ist allgegenwärtig.

Vegetarische Mönche

Nach vollendeter Pilgerfahrt praktizierte ich Zen in verschiedenen Tempeln. Obwohl die Ernährung traditionsgemäss vegetarisch ist, lassen die Mönche keine Gelegenheit aus, an Festen und freien Tagen Fisch und Fleisch zu verzehren. Ich war der Einzige, der die Fischchips ablehnte, was alle sehr erstaunte. Dabei steht in ihren Grundregeln: «Bedankt euch für den Segen der Natur und respektiert voll Mitgefühl jede Form des Lebens.»

Ich fühlte mich verpflichtet, die Mönche darauf hinzuweisen und ihnen die Zusammenhänge aufzuzeigen, damit sie nicht mehr nur wegen ihrer Dogmen vegetarisch essen mögen, sondern aus innerer Überzeugung. Bei meinem ersten Rendez-vous mit dem Zen-Meister, Harada Sensei, einer international bekannten Persönlichkeit, welchem nachgesagt wird, erleuchtet zu sein, erzählte ich von meinem Motiv für die Pilgerfahrt. Er antwortete mir: «Weisst du, im Buddhismus soll man nicht töten, aber es ist gleichwohl wichtig, Leben zu geben.» Ich verstand dies nicht sofort und eine unangenehme Stille breitete sich aus, bis ich begriffen hatte, was er damit meinte: Um das Leben der Menschen zu erhalten rechtfertige dies, dass Tiere dafür sterben müssen. Ich antwortete: «Fleisch, um Leben zu geben?! Aber Fleisch zerstört den Körper und den Geist der Leute, und jene in den armen Ländern sterben an Hungersnot auf Grund unseres Fleischkonsums, für dessen Produktion global Wälder abgeholzt werden, also stirbt die Natur, sterben die Tiere, die Menschen, ich sehe den Zusammenhang mit ‹Leben geben› nicht …» Bei unserem nächsten Treffen fragte er schroff: «Hast du eine Frage das Zen betreffend?» Offensichtlich hatte ihn unser letztes Gespräch ziemlich unangenehm berührt. Die Bewusstwerdung, die ich durch Ananda hatte erfahren können, war mir ein guter Barometer in solchen Situationen. Ich musste ans andere Ende der Welt reisen, um zu realisieren, dass ich die beste Lehrerin schon zu Hause getroffen hatte!
Ich konnte immerhin einige Gruppen antreffen, die sich für die Natur engagieren, z.B. traf ich Köche eines makrobiotischen Restaurants, die alles mit energetisiertem Wasser zubereiten.
Zweimal liess ein Erdbeben Tokio erzittern (ich befand mich im 10. Stock!), für mich ein klares Zeichen, abzureisen.
Im Flugzeug sitzend, betrachtete ich die schöne, noch unberührte Hügellandschaft unter mir und ich sinnierte über die Verantwortung des Westens, der so viel Verheerendes in dieses Volk gebracht hat, und wie es wäre, wenn unsere Gesellschaften das Beispiel des spirituellen Japans integriert hätten …

Lamsa Da Silva

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