Ende März sitze ich im Flieger nach Los Angeles. Nebenan döst mein langjähriger Freund Schüre. Er wird mich drei Wochen begleiten. Klammheimlich muss ich schmunzeln.
Um meine neue CD Heaven Calls zu promoten, habe ich mir was ganz Spezielles einfallen lassen. Ich will mit dem Tourenrad quer durch die USA strampeln, vom Pazifik bis zum Atlantik. Unterwegs stoppe ich bei Radiostationen und biete mein Album feil. Ich wusste bereits im Voraus, dass es für Veganer eine zusätzliche Herausforderung werden würde, sich im Land der Burger durchzuschlagen. In Los Angeles und New York gäbe es diesbezüglich keine Probleme. Was aber auf den 5200 Kilometern, die dazwischen liegen?
Schon am nächsten Morgen geht es los. Unser Zeitplan ist dicht: Schüre muss rechtzeitig in Denver den Rückflug erwischen. Wir werden uns keinen Tag Pause erlauben können. An der Venice Beach decke ich mich mit einer ersten Nahrungsration ein: Nüsse en masse, Bananen, tiefschwarze Schokolade, einige Riegel. Einen ganzen Tag brauchen wir, um die Grossstadt hinter uns zu lassen. Es folgt die kalifornische Wüste. Zu deren Beginn informiert ein Schild: Next service 100 miles. Tatsächlich treffen wir erst nach besagter Distanz auf eine Tankstelle. Dieses Bild wird sich in den kommenden sieben Wochen wiederholen: unzählige Stopps an unzähligen Tankstellen. Bald entdecke ich einen veganen Energieriegel, der mir gut schmeckt. Ab sofort werden sie meine täglichen Begleiter. Diese komprimierten Prügel ersetzen ein ganzes Frühstück. Diverse Frucht- und Gemüsesäfte einer mir bis anhin unbekannten Marke sind fast allesamt vegan. Leider eben nur fast. Genüsslich probiere ich die Ananas-Kokos-Mischung und lese nochmals genau. Was heisst eigentlich whey? Schreibt sich beinahe wie wheat. Ein Getreide? Weit gefehlt, es bedeutet Molke. Dieser Schuss ging daneben.
In jeder grösseren Stadt buhlen die Fastfood-Ketten mit überdimensionierten Tafeln, die hoch in den Himmel reichen, um ihre Kunden. McDonalds, Burger King, Wendys, Taco Bell, Pizza Hut ... Obwohl, letztere Einrichtung wird oftmals für mein Abendessen verantwortlich sein. Immerhin findet man dort ein Salatbuffet, Öl und Essig stehen zur Verfügung. Auf der Karte gibt es zwar keine vegetarische Pasta-Variante, ausnahmslos kann ich aber die Spaghetti ohne Meatballs bestellen. Doch aufgepasst! Wenn man sich nicht zur Wehr setzt, kommen die Teigwaren bereits mit dem Käse garniert. Und auf der Tomatensauce surfen zwei Scheiben Knoblibrot. Während der Mahlzeit betrachte ich Bilder, die an der Wand hängen. Schulabgänger aus den Jahren 1947-52. Durchwegs schlanke Personen. Ich schaue mich um. Einige Leute können sich kaum noch bewegen. Soviel Übergewicht auf so wenigen Quadratmetern. Eine Nation bringt es fertig, sich in so kurzer Zeit als Weltmacht zu etablieren. Nun sind sie dabei, sich selbst zu vernichten. Zu Tode gefressen, kommt es mir zynisch in den Sinn.
In Denver ist Wechselzone. Schüre fliegt nach Hause, meine Freundin Janine landet, um mir für weitere zwei Wochen Gesellschaft zu leisten. Sie hat sich nicht den spannendsten Abschnitt ausgewählt. Die Great Plains sind überaus zäh. Zur eintönigen Landschaft kommen täglich zermürbende Winde dazu. Mitten in der Kornkammer der USA wird einem der menschliche Wahnsinn bewusst. Fast 50 Prozent der Ernte landet als Futter in den Mastbetrieben oder aber als Ethanol in den Benzintanks. Riesige doppelstöckige Tiertransporter donnern zahlreich an uns vorbei. Man kann sie am Geruch schon von Weitem wittern.
Ab Kansas City schlage ich mich alleine durch. Auffallend, dass ich nicht in einer einzigen Tankstelle auf ein vegetarisches Sandwich stosse. Selbst ein schlichtes Käsebrot werde ich nie zu Gesicht bekommen. Turkey, Ham, Chicken, Beef, Tuna sind mehr vorhanden denn je. Das fiel mir bei früheren USA-Reisen nicht auf. Es scheint, dass hier Fleischiges in Sachen Statussymbol einen Zacken zugelegt hat.
Ich indes erreiche nach 47 Tagen mein Ziel. 5218 Kilometer, 37675 Meter im Aufstieg, 266 Stunden im Sattel. Kein einziges Mal plagten mich Krämpfe, ich fühle mich nach wie vor fit wie ein Turnschuh. Natürlich freue ich mich sehr auf das Zuhause – die Aussicht auf ein Abendessen im Hiltl regt bereits die Magensäfte an.
Üse Junger
ZUR PERSON:
Üse Junger, 43, wohnt im Zürcher Oberland. Seit 23 Jahren lebt er vegetarisch, die letzen zwei davon als Veganer. Mit seinem roll ’n’ rock Projekt hat er sich einen Traum realisiert und seine beiden Leidenschaften, Velo und Musik, auf eigenständige Weise kombiniert. Auf seiner Reise hat er 42 Radiostationen besucht.
- Ausführlicher Reisebereicht auf: www.soundofyounger.com