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31.10.2024 | Renato

Swissmilk macht fleissig Werbung für die idealisierte Kuhmilch – sei es durch den jährlichen „Tag der Pausenmilch“ am 31. Oktober oder durch bezahlte Werbung, die in den letzten Monaten in sozialen und gedruckten Medien im Zusammenhang mit einer Agroscope-Studie zu sehen war. Anhand dieses Beispiels zeigt sich gut, wie die wissenschaftliche Fragestellung «(Kuh-)Milch oder Pflanzendrinks: Was ist die gesündere Wahl?» zur Kuhmilchpropaganda wird.

Die Ausgangslage

Was besser oder schlechter ist, kann erst beurteilt werden, wenn die Kriterien für eine Bewertung feststehen. In diesem Fall war die Studie ausschliesslich auf die Nährwerte der Milch fokussiert. Weder Umweltauswirkungen noch Tierschutz wurden in die Betrachtung miteinbezogen, weshalb in diesem Artikel nur auf den gesundheitlichen Teil eingegangen wird. Das schlechte Abschneiden von Kuhmilch hinsichtlich Umwelt- und Tierschutz war kein Bestandteil der Studie.

Die Studie wurde auch deshalb durchgeführt, weil Trinkmilch immer mehr Marktanteile an Pflanzendrinks verliert. Der Kuhmilchkonsum hat sich in den vergangenen 20 Jahren praktisch halbiert. Gemäss Swissmilk wurden 1950 noch 233 Liter Kuhmilch pro Jahr und Person getrunken. 2020 waren es nur noch 51 Liter. Ausserdem ist heute ein Bio-Sojadrink günstiger oder gleich teuer wie Bio-Kuhmilch.1 Offenbar möchte Swissmilk mit verstärkter Kuhmilchlobbyarbeit diesen Abwärtstrend der Kuhmilch stoppen. Doch auch die Schweizer Regierung hat ein Interesse an Kuhmilchpropaganda: Sie möchte, dass rund 50 Prozent mehr Kuhmilch(-produkte) konsumiert werden, als dies derzeit der Fall ist, nämlich drei statt zwei Portionen pro Tag.2

Abb. 1: Jährlicher Pro-Kopf-Konsum von Kuhmilch in der Schweiz (eigene Darstellung).

Die Studie

Die Studie wurde von der staatlichen Forschungsanstalt Agroscope durchgeführt.3 Es wurden folgende Milcharten untersucht: Kuhmilch sowie Pflanzendrinks aus Reis, Hafer, Dinkel, Soja, Cashew, Hanf, Mandel und Kokosnuss. Insgesamt wurde bei 36 Produkten pro Kategorie der Mittelwert der gemessenen Werte ermittelt. Pflanzendrinks mit mehr als einem Basisrohstoff wurden ausgeschlossen, womit noch 27 Produkte übrigblieben. Diese Selektion ist insofern problematisch, da sich durch die Kombination mehrerer pflanzlicher Rohstoffe die Nährstoffe und Aminosäuren gegenseitig ergänzen können.

Die Zusammenfassung der Studie präsentiert diese Schlussfolgerung: «Unsere Ergebnisse zeigen, dass die untersuchten pflanzlichen Getränke in Bezug auf die Nährstoffzusammensetzung keine echte Alternative zu Milch darstellen, selbst wenn die derzeitige Anreicherung berücksichtigt wird. [...] Ein vollständiger Ersatz von Milch durch pflanzliche Getränke ohne Anpassung der Gesamternährung kann langfristig zu einem Mangel an bestimmten wichtigen Nährstoffen führen.» Diese Aussage wird gemacht, obwohl in derselben Zusammenfassung gleichzeitig folgendes zugegeben wird: «Sojagetränke lieferten etwas mehr Eiweiss und deutlich mehr Vitamine B1 und B6, Folsäure sowie die Vitamine E und D2 (mit supplementiertem Vitamin D2) und K1, Magnesium, Mangan, Eisen und Kupfer als Milch und die anderen pflanzlichen Getränke.»

Korrekterweise hätte die Schlussfolgerung dieser Studie also lauten müssen: Sojagetränke haben die beste Zusammensetzung. Dies geht auch aus den in der Studie veröffentlichten Werten klar hervor. Kuhmilch anstelle von Sojagetränken zu empfehlen ist demnach wissenschaftlich nicht haltbar, selbst wenn die Kriterien dieser Studie angewendet werden. Zudem sind auch die Bewertungskriterien der Studie problematisch: Weshalb sollte ein Getränk mit mehr Zucker und Fett besser sein als eines, das weniger solcher Makronährstoffe enthält?

In der Schweiz wird doppelt so viel Zucker konsumiert wie empfohlen.4 Auch die Fettzufuhr ist bedenklich: Es werden zu viele ungesunde gesättigte (z. B. in Kuhmilch enthaltene) Fette und zu wenig gesunde Fette, wie sie in Pflanzenmilch vorkommen, konsumiert. Der Studie mangelt es an jeglicher Kritik bezüglich des hohen Fettgehaltes und der gesättigten Fette. Es macht deshalb den Anschein, als hätten die Forschenden absichtlich nur Dinge berücksichtigt, die ihrer Meinung nach für die Kuhmilch sprechen. Was diese in ein schlechteres Licht rücken könnte, wurde ignoriert oder uminterpretiert («hohe Nährstoffdichte» statt «zucker- und fettreich»). Dass nur das Vitamin A, nicht aber das Beta-Carotin (Provitamin A) analysiert wurde, spricht ebenfalls dafür, dass die Auswahl der Analysewerte zugunsten der Kuhmilch erfolgt ist. Beta-Carotin kommt vor allem in pflanzlichen Produkten vor und wird im Körper zu Vitamin A umgewandelt. Das Vitamin A ist hauptsächlich in tierischen Produkten enthalten. Somit wird mit dieser Analyseauswahl die Kuhmilch bevorzugt. Dieses einseitige Vorgehen wird auch in der Studie zugegeben: «Der Gehalt an Provitamin A, der in den pflanzlichen Getränken zu erwarten war, wurde nicht analysiert.» Dasselbe gilt für die gesunden Faserstoffe: Sie kommen in Kuhmilch im Gegensatz zu pflanzlichen Produkten praktisch nicht vor und wurden in der Studie auch nicht berücksichtigt.

Nur wer die Studie ganz liest, erfährt, dass Sojadrinks am meisten essentielle Aminosäuren enthalten: «Was den Gesamtproteingehalt anbelangt, so kamen die Sojagetränke in ihren Konzentrationen an freien Aminosäuren der Milch am nächsten, wobei die essentiellen Aminosäuren den höchsten Mittelwert aufwiesen.» Auch bei dieser Formulierung wird relativiert: «kommt am nächsten» statt «übertrifft» die Kuhmilch.

Berichterstattung und Sekundärliteratur

Während in der Originalstudie die Fakten noch herauslesbar sind, sieht es bei Artikeln über diese Studie schlechter aus. Für «Agrarforschung Schweiz» haben zwei Studienautorinnen von Agroscope einen Artikel über die Originalstudie für den Bund bzw. Agroscope geschrieben.5 Alleine die Zwischentitel im Artikel zeigen bereits ihre Ziele auf:

  • «Pflanzendrinks liefern weniger Energie und Nährstoffe als Milch»
  • «Pflanzliche Getränke werden oft mit Vitaminen und Mineralstoffen angereichert»
  • «Wie wirkt sich der Konsum von Pflanzendrinks auf den Ernährungszustand aus?»

In der Grafik zum Artikel (siehe Abb. 2) sind die Farben so gewählt, dass Kuhmilch möglichst positiv dargestellt werden kann. Beispielsweise wurde der Fettgehalt farblich grün hervorgehoben. Die Warnfarben Rot, Orange und Gelb finden sich nur bei den pflanzlichen Varianten. Dass ein hoher Zucker- und Fettgehalt nicht unbedingt positiv zu werten ist, wird hier verschleiert, und der höhere Proteingehalt von Soja geht in der Grafik praktisch unter. Im Fazit des Artikels steht zum positiven Abschneiden der Sojagetränke: «Lediglich Pflanzendrinks auf Sojabasis wiesen einen mit Milch vergleichbaren Proteingehalt auf.» Aus dem höheren Proteingehalt des Sojadrinks (3,8 gegenüber 3,3 Prozent) wurde hier ein «vergleichbarer Proteingehalt». Offenbar wollte man keinesfalls ein pflanzliches Getränk bei auch nur irgendeinem Punkt vor die Kuhmilch stellen.

Abb. 2: Mittlerer Gehalt an Makronährstoffen in Gramm pro 100 g (Quelle: Agrarforschung Schweiz).

Auch SRF hat die Studie aufgegriffen.6 Der Titel dieses Beitrages: «Pflanzendrinks sind kein Milchersatz». Bereits die Einleitung unterstreicht diese Irreführung: «Was Proteingehalt, Vitamine oder Kalzium anbelangt, bleibt laut einer Studie von Agroscope Kuhmilch der Spitzenreiter. Es sei denn, die veganen Milch-Alternativen werden mit Vitaminen und Nährstoffen angereichert. Nur die Sojamilch hat einigermassen gut abgeschnitten.» Im Text selbst wird diese Relativierung der Vorteile der Sojamilch korrigiert: 

«Sojamilch schneidet hinsichtlich des Eiweissgehalts am besten ab. Wenn sie noch mit Kalzium angereichert wird, kann sie ein Äquivalent für die Kuhmilch sein.»

Abb. 3: Nährstoffe von Kuhmilch und Sojadrink (eigene Darstellung).

Auch die SonntagsZeitung berichtete über die Agroscope-Studie mit dem Titel «Pflanzendrinks sind weniger wertvoll als Kuhmilch», was sich auch im Inhalt des Artikels widerspiegelte.7

Swissmilk nutzte die Studie monatelang für eine Kuhmilchkampagne und zitiert in ihrem Text die Studienautorin Barbara Walther von Agroscope: «Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht sind Pflanzendrinks keine Alternative zu Kuhmilch.»8

Fazit

Den Fettbedarf durch gesättigte Fette aus Kuhmilch zu decken ist nicht empfehlenswert. Stattdessen sind Produkte auf pflanzlicher Basis zu bevorzugen, diese enthalten zudem wesentlich weniger Kalorien. Übrigens: Das Wort Kalorien kommt im Werbetext von Swissmilk gar nicht, und im Artikel von Agrarforschung Schweiz nur einmal im Zusammenhang mit Unter- bzw. Mangelernährung vor. Auf das Problem der Überversorgung mit Fett und Zucker (was zu Adipositas führen kann) wird nirgends eingegangen. Logisch, auch dabei würde die Kuhmilch am schlechtesten abschneiden.

  1. Welt-Vegan-Tag 1. November 2023. (2023, 30. Oktober). Swissveg. https://www.swissveg.ch/WeltVeganTag_2023
  2. Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV. (2017). Milch- und Milchproduktekonsum in der Schweiz 2014/15. https://www.blv.admin.ch/dam/blv/de/dokumente/lebensmittel-und-ernaehrung/ernaehrung/fi-menuch-milch.pdf.download.pdf/Fachinformation%20-%20Milch-%20und%20Milchproduktekonsum.pdf
  3. Walther, B., Guggisberg, D., Badertscher, R., Egger, L., Portmann, R., Dubois, S., Haldimann, M., Kopf-Bolanz, K., Rhyn, P., Zoller, O., Veraguth, R. & Rezzi, S. (2022). Comparison of nutritional composition between plant-based drinks and cow’s milk. Frontiers in Nutrition, 9. https://doi.org/10.3389/fnut.2022.988707
  4. Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV. (2024, 16. Januar). Zuckerreduktion. https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/lebensmittel-und-ernaehrung/ernaehrung/produktzusammensetzung/zuckerreduktion.html
  5. Burton-Pimentel, K. J. & Walther, B. (2023, 28. September). Pflanzendrinks – eine Alternative zu Milch? Agrarforschung Schweiz. https://www.agrarforschungschweiz.ch/2023/09/pflanzendrinks-eine-alternative-zu-milch/
  6. Zehnder, R. (2023, 7. November). Pflanzendrinks sind kein Milchersatz. Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). https://www.srf.ch/wissen/gesundheit/soja-hafer-und-co-pflanzendrinks-sind-kein-milchersatz
  7. Fossgreen, A. (2023, 27. Mai). Pflanzendrinks sind weniger wertvoll als Kuhmilch. SonntagsZeitung. https://www.tagesanzeiger.ch/pflanzendrinks-sind-weniger-wertvollals-kuhmilch-344335258504
  8. Milch oder Pflanzendrinks: Was ist die bessere Wahl? (o. D.). Swissmilk. https://www.swissmilk.ch/de/ernaehrung/pflanzenbasiert-essen/milch-oder-pflanzendrinks-was-ist-die-bessere-wahl/
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