Befürworter der Jagd behaupten immer wieder, dass ein gezielter Abschuss von Wildtieren für den Erhalt der Natur und den Schutz von Tier und Mensch nötig sei. Stimmt das wirklich?
Die Jagd wird häufig als notwendig dargestellt: Sie vermeide eine Überpopulation von Wildtieren, beuge Wildschäden vor und schütze Tiere und Menschen vor Krankheiten. Zahlreiche Wissenschaftler und Wildbiologen widersprechen dieser weitverbreiteten Ansicht jedoch und betonen, dass aus ökologischer Sicht keinerlei Notwendigkeit für die Jagd besteht.
Krankheiten
Insbesondere die Gefahr von Tollwut-Ansteckungen wird häufig als Argument für die Jagd genannt. Fachleute sind jedoch der Meinung, dass die Jagd diese Gefahr keineswegs senkt. Ohne menschlichen Einfluss stirbt ein krankes Tier ohnehin innert kürzester Zeit – die Jagd jedoch zerreisst die Familienbande der Füchse und vertreibt die Tiere immer mehr aus ihrem natürlichen Lebensraum in die umliegenden Agglomerationen. Dadurch wird die Krankheit auf Hunde übertragen, wodurch sich auch das Ansteckungsrisiko für den Menschen sogar erhöht. Unabhängig davon ist es für einen Jäger zudem unmöglich, auf mehrere hundert Meter Entfernung hin zu erkennen, ob ein Tier tatsächlich krank ist, dies kann nur ein Tierarzt beurteilen. Die Schweiz gilt ausserdem bereits seit 1999 als tollwutfrei.
Überpopulation
Auch der Tierbestand im Wald reguliert sich durch das Zusammenspiel von Nahrungsangebot, Umweltbedingungen, vorhandenem Lebensraum sowie natürlichen Krankheiten von selbst. Lebt beispielsweise mehr Wild auf einer Fläche, als diese mit Futter versorgen kann, würde die Anzahl der neugeborenen Tiere theoretisch entsprechend sinken. Die Jagd verhindert diese natürliche Regulation jedoch: Sie zerstört soziale Gefüge und führt dazu, dass die Tiermütter mehr Junge als gewöhnlich zur Welt bringen, um die Art vor dem Aussterben zu bewahren. Eine hohe Anzahl Jungtiere ist also keine Jagdrechtfertigung, sondern deutet vielmehr darauf hin, dass es zu wenige Tiere gibt und die Population sich erholen sollte.
Wildschäden
Der Wald dient heute nicht mehr nur Erholung und Ruhe, sondern vielfach vor allem auch der intensiven Holzproduktion. Wildtiere wie Rehe fressen eigentlich Gras, doch weil sie von uns Menschen immer stärker weg von den Weiden hinein in den Wald gedrängt werden, fressen sie auch die Triebe wachsender Bäume. Um dadurch entstehende Einnahmeeinbussen zu vermeiden, werden die Wildtiere vorbeugend geschossen. Ihre Jagd erfolgt also aus rein wirtschaftlichen Gründen, denn für einen natürlichen Wald stellen Wildtiere keine Gefahr dar. Zudem wird die Problematik erst durch die Jagd selbst verursacht: Würden die Tiere nicht durch die Jagd von ihren gewohnten Weideplätzen, den Wiesen und Feldern am Waldrand, verscheucht, müssten sie erst gar nicht auf Jungpflanzen als alternative Nahrungsquelle ausweichen. Das Anknabbern von Jungpflanzen kann zudem durch Einzäunen neuer Aufforstungen leicht verhindert werden.
Wölfe erschiessen um Schafe zu retten?
Auch dieses Argument ist wissenschaftlich widerlegt. Tatsächlich führt das vermehrte Abschiessen von Wölfen gemäss Studien dazu, dass mehr Nutztiere angegriffen werden. Dies, da es zur Zerstörung von Rudelverbänden führt – und für Nutztiere sind vor allem Einzeltiere gefährlich. Insbesondere das Erschiessen der älteren Tiere eines Rudels ist kontraproduktiv. Genau wie Wölfe werden auch Füchse häufig unter dem Vorwand des Tierschutzes geschossen. Selbst Jäger machen jedoch kein Geheimnis daraus, dass das eigentliche Ziel ist, den Fuchs als Jagdkonkurrenten zu beseitigen.
Es geht auch anders: Zusammenleben statt Jagd
Indem sie Wildtiere lehrt, Menschen zu fürchten, führt die Jagd zudem zu einer Distanzierung von Mensch und Tier. Die Tiere sind gezwungen, sich immer weiter in den Wald zurückziehen oder ihre gewohnte Umgebung sogar ganz zu verlassen, tagaktive Tiere müssen ihr Futter nachts suchen, um der Gefahr der Jäger auszuweichen. Als Resultat begegnet man wildlebenden Tiere immer seltener in ihrer natürlichen Umgebung, sie gelten als scheu und unnahbar.
Beispiele verschiedener jagdfreier Regionen zeigen jedoch, dass auch andere Arten des Zusammenlebens zwischen Tier und Mensch möglich sind. In der japanischen Stadt Nara zum Beispiel werden seit über 1'000 Jahren aus religiösen Gründen keine Rehe und Hirsche mehr getötet. Während dieser Zeit ist ihr Bestand auf eine konstante Zahl von rund 1'200 Hirschen gewachsen. Die Tiere leben in den angrenzenden Wäldern oder in der Stadt selbst. Da sie wissen, dass sie von den Menschen nichts zu befürchten haben, sind sie äusserst zutraulich und lassen sich gerne streicheln und füttern.
Ähnliches lässt sich in europäischen Nationalparks, in denen die Jagd seit Jahrzehnten verboten ist, beobachten. Die Wildhüter des grössten italienischen Nationalparks Gran Paradiso beispielsweise berichten davon, wie zutraulich und lieb als scheu geltende Tiere sein können, sobald sie ihre Angst vor Verfolgern abgelegt haben. Gämsen, Steinböcke, Hasen und Rehe haben keinerlei Angst mehr, sich von Besuchern beobachten zu lassen. Im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer können Kinder sogar Wildgänse aus nächster Nähe betrachten. Selbst Fische werden zutraulich, sobald sie nicht mehr befürchten, gefangen zu werden: Im kroatischen Nationalpark Plitvice ist das Baden und Fischen in den Seen schon seit Jahren verboten. Heutzutage schwimmen die Tiere dort bis ans Ufer und lassen sich sogar streicheln.
«Die Umwelt würde sich selbst optimal erhalten mit einem inneren Regelungsmechanismus, ohne dass der Mensch schießt. Ich sehe für die Jagd wirklich keine andere Funktion, als dass sie ein Vergnügen ist.» Bruno Bassano, Tierarzt im Gran Paradiso, Nationalpark
Jagd ohne Sinn
Die Jagd stört die natürliche Regulation des Ökosystems Wald und schafft damit eine Vielzahl an Problemen, anstatt sie, wie so oft behauptet, zu lösen. Zur Ernährung ist heute kein Jäger auf das Fleisch der Wildtiere angewiesen. Trotzdem werden in der Schweiz jedes Jahr rund 100’000 Rehe, Hirsche, Füchse, Murmeltiere, Gämsen und Kaninchen geschossen. Auch für andere Tiere sowie Menschen stellt die Jagd eine Gefahr dar: Jedes Jahr werden unzählige Haustiere und weitere Wildtiere wie Vögel (versehentlich) getroffen und Menschen bei Jagdunfällen verletzt. Weder moralische noch ökologische Argumente können die Jagd in unseren Breitengraden also noch rechtfertigen – umso wichtiger wäre es stattdessen, eine Welt zu schaffen, in der Tier und Mensch sich einander wieder annähern und harmonisch zusammenleben.
- Weitere Artikel zur Jagd auf dieser Hompeage: Jagd
- Jagdstatistiken
- Jagdfreie Regionen
- Wenn der Schuss nach hinten losgeht, September 2016, SRF
- Die Jagd: Alle Informationen über das Tierleid, PETA
- Bishnoi: ein Volk, dass seit Jahrhunderten keine Tiere mehr tötet.
- Mehr Jagd macht Wildschweine früher reif, 18.9.2009, Der Standard
- Hat die heutige Jagd eine ökologische Berechtigung?, Dezember 2009, www.initiative.cc
- Buch-Tipp: Von der Jagd und den Jägern. Bruder Tier und sein Recht zu leben, 2006, Autor ist ein Biologe und Ex-Jäger.