Hugo Caviola, Leiter des Forschungsprojekts Sprachkompass Ernährung
Die Anzahl der fleischlos oder fleischarm lebenden Menschen nimmt zu. Im Jahr 2020 ernährten sich in der Schweiz 6,5 % der Bevölkerung vegetarisch, 1 % vegan und weitere 11 % verzichteten häufig auf Fleisch («FlexitarierInnen»). Die Zahlen zeigen dennoch, dass Fleischessen immer noch die Norm ist. Dieses wird gefördert durch die Massentierhaltung und die tiefen Fleischpreise. Nutztierhaltung und Fleischessen sind unterschwellig tief in unserer Geschichte und Ernährungskultur verankert. Zu dieser gehört auch unser Sprachgebrauch, denn er leitet unser Denken, Fühlen und Handeln in Bahnen, auf denen das Fleischessen Vortritt hat.
Wie oft drängen sich uns doch Sprachbilder und Redewendungen auf, die uns kaum als «fleischhaltig» bewusst sind. So riechen wir den Braten, lassen Menschen in ihrem eigenen Saft schmoren oder stellen fest, dass ein Prüfungskandidat gegrillt wurde. Sind wir uns uneinig, so haben wir ein Hühnchen miteinander zu rupfen, der eine zieht dem anderen das Fell über die Ohren oder macht gar Hackfleisch aus ihm. In der Politik verfahren manche nach der Salamitaktik, denn alle wollen genug vom Braten abbekommen. Und wenn es wirklich drauf ankommt, geht es bekanntlich um die Wurst. Solche und viele weitere Metaphern und Redewendungen flüstern uns hintergründig ein, dass Fleischessen normal sei. Schlachten, Fleisch zubereiten und essen erzeugen Denkinstrumente, nach denen wir uns in Bereichen orientieren, die gar nichts mit Fleisch zu tun haben, etwa im Bildungswesen, im zwischenmenschlichen Umgang oder in der Politik. Anders gesagt: Man muss gar kein Fleisch essen, um dennoch sprachlich an der Fleischkultur teilzuhaben.
Die Unterscheidung von Nutz- und Haustieren legt grundlegende Denkbahnen aus. Diese sind mitverantwortlich dafür, wie wir mit diesen Tieren umgehen. Haustiere sind für uns wie Familienmitglieder und wir geben ihnen Namen. Nutztiere dagegen sind in der Massentierhaltung nur Nummern. Im Umgang mit ihnen lassen wir uns von einer Industriesprache leiten, in der Wörter wie Ferkelerzeugung, Fleischleistung und Schlachtreife die Richtung angeben. Dass wir Nutztiere abwerten, zeigen auch Schimpfwörter wie: Du blöde Kuh! Du dummes Huhn! Ein unaufgeräumtes Büro gilt als Saustall. Auch auf Menükarten schleicht sich Fleisch als etwas Selbstverständliches ein, nicht nur, weil Fleischgerichte in der Überzahl sind. Das unauffällige Wörtchen Beilage wirkt als Machtwort: Es setzt das Fleisch wie selbstverständlich ins Zentrum eines Gerichts und degradiert Pflanzliches zur Nebensache. Fleisch verleiht dem Gericht meist auch seinen Namen. Man bestellt z. B. Osso Bucco mit Risotto und setzt den Reis damit automatisch auf den zweiten Rang. Hier wirkt das kleine Wörtchen «mit» als Machtwort: Was wäre, wenn ein Gericht Risotto mit Osso Bucco hiesse? Fremdsprachige Namen garnieren Fleischgerichte mit einem exotischen Touch. Dieser verbirgt elegant dem deutschsprachigen Ohr das eigentliche Tier auf dem Teller. Osso Bucco ist ein «Knochen mit Loch», ein Entrecôte ein «Zwischenrippenstück», ein Filet ein «dünner Faden», ein keulenförmiger Muskelstrang.
Sprachlich Fuss fassen
Gibt es sprachliche Wege, die pflanzliches Essen aufwerten? Das Sprachkompass-Team empfiehlt dies:
Auf die Sprache achten
Auf die Dominanz der Fleisch-Metaphern und Redewendungen in unserer Sprache bewusst zu achten, und diese zu vermeiden, lohnt sich. Denn diese bestärken das Fleischessen als Normalität.
Alternativen
Manche Fleischmetaphern lassen sich durch fleischlose ersetzen, welche dem Denken eine andere Richtung geben. Eine Sache ist einem dann nicht Wurst, sondern schlicht egal. Man muss nicht partout etwas vom Braten abbekommen, sondern kann dies auch von einem Kuchen. Statt miteinander ein Hühnchen zu rupfen, kann man z. B. etwas ausfechten.
Begriffskreuzungen weisen neue Wege
Heute kommen viele vegetarische und vegane Speisen in Verpackung und Aussehen wie Fleischspeisen daher und tragen Namen wie Veggie Burger und plant-based Gehacktes. Neue Rezepte heissen Blumenkohl-Steak und Tofu-Auberginen-Gulasch. Dies sind Beispiele, wie selbst Pflanzliches von der Fleischkultur vereinnahmt wird. Wörter wie Leid und Wohl waren vor 50 Jahren noch einzig für Menschen reserviert. Die Wörter Tierleid und Tierwohl erlauben uns, Tiere als empfindsame Wesen wahrzunehmen. Auch sie sind Machtwörter: Sie eröffnen neue Sichtweisen auf die sogenannten Nutztiere und können einen Kulturwandel in der Fleischwelt bewirken.
Das Forschungsprojekt Sprachkompass Ernährung am CDE der Uni Bern untersucht, wie die Sprache unser Denken über Ernährung prägt. Es untersucht, welche Sprachformen die Fleischkultur stärken und welche eine nachhaltige Ernährung fördern. In einem Workshop 2020 haben sich der Projektleiter Hugo Caviola und Swissveg zur Bedeutung der Sprache bezüglich Essen ausgetauscht. Die vollständige Studie finden Sie hier: www.sprachkompass.ch/ernaehrung