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27.01.2023 | Bettina

Die Zulassung eines neuartigen Hausgrillenpulvers für den europäischen Markt wirft einmal mehr die Frage auf, ob es moralisch vertretbar ist, Insekten zu essen. Denn dass Rehe, Katzen und Delfine empfindungsfähig sind und über Bewusstsein verfügen, ist für die meisten von uns klar – doch wie sieht es mit Ameisen, Bienen und Grillen aus? Und was bedeutet das für unseren Umgang mit ihnen?

Weshalb spielen Empfindungsfähigkeit und Bewusstsein eine wichtige Rolle?

Insekten werden oft – und zwar nicht ganz korrekt – als proteinreiche und umweltverträglichere Alternative zu Fleisch angepriesen. Ein anderer grundlegender Aspekt ihres Konsums wird jedoch meist ganz ausser Acht gelassen: Ist es überhaupt moralisch vertretbar, Insekten zu essen? Und wie sollten wir das entscheiden? Wenn es um die Frage geht, wie wir mit nichtmenschlichen Tieren umgehen sollten, ist oft vom Bewusstsein oder der Empfindungsfähigkeit die Rede. Der Begriff Bewusstsein bedeutet in diesem Zusammenhang, dass ein Tier eine Erfahrung machen kann. Im Gegensatz zu einem Stein, kann beispielsweise eine Kuh Erfahrungen machen. Nur wenn ein Tier Erfahrungen machen kann, kann es auch geschädigt werden. Wenn man einen Stein gegen die Wand wirft und er in zwei Stücke zerbricht, macht ihm das nichts aus. Doch einem Tier mit Bewusstsein, das empfindungsfähig ist – also positive und negative Gefühle erfahren kann, würde es etwas ausmachen, wenn man es gegen die Wand werfen würde. Es würde Schmerzen empfinden.

Bewusstsein und insbesondere die Empfindungsfähigkeit spielen eine wichtige Rolle im Hinblick auf unseren Umgang mit nichtmenschlichen Tieren. Wenn man ein nichtmenschliches Tier schlägt und es wegrennt, dann ist dies nicht lediglich ein Output der auf einen Input folgt (behavioristische Sichtweise), sondern das Tier nimmt den Schlag wahr und es wird eine bestimmte Empfindung in ihm ausgelöst – nämlich Schmerz (kognitivistische Sichtweise). Dieser Schmerz fühlt sich negativ an. Dass das Tier diesen Schmerz wahrnimmt, ist im Hinblick auf unseren Umgang mit ihm deshalb relevant, weil in dem Fall das Zuführen von Schmerzen einer Schädigung gleich kommt. Wenn wir nun davon ausgehen, dass unsere Handlungen andere nicht schädigen sollten, dann folgt daraus, dass wir insbesondere im Hinblick auf empfindungsfähige Tiere die Konsequenzen unserer Handlungen prüfen sollten. Mit anderen Worten: Wenn ein Tier empfindungsfähig ist, sollte es moralisch berücksichtigt und angemessen behandelt werden.

Was sind die Kriterien für Bewusstsein?

Forscher:innen, die sich mit dem Vorhandensein von Bewusstsein und der Fähigkeit Schmerzen und Vergnügen zu empfinden, beschäftigen, fokussieren sich auf unterschiedliche Bereiche. Ein wichtiger Bereich ist die Verhaltensbiologie (Ethologie). Indem wir das Verhalten der Tiere in bestimmten Situationen beobachten und dieses Wissen mit dem bereits bestehenden Wissen abgleichen, können wir immer mehr über die Tiere herausfinden. So ist die Erklärung für bestimmte äusserst komplexe Verhaltensweisen oftmals die, dass dieses Tier über ein komplexes Bewusstsein verfügt.

Des Weiteren spielt auch die Physiologie eine wichtige Rolle. Dabei ist das zentrale Nervensystem von besonderer Relevanz. Forscher:innen haben noch nicht herausgefunden, wann in der Evolution Bewusstsein entstanden ist. Doch da alle Tiere, die über ein bis zu einem bestimmten Grad entwickeltes zentrales Nervensystem verfügen, über Bewusstsein zu verfügen scheinen, gilt ersteres jeweils als Hinweis auf Bewusstsein. Auch weitere physiologische Strukturen werden in diesem Rahmen erforscht.

Schliesslich wird auch die evolutionäre Entwicklung herangezogen. Es wird eher davon ausgegangen, dass ein Tier über Bewusstsein verfügt, wenn es im Hinblick auf den phylogenetischen Stammbaum in naher Verwandtschaft mit einem Tier steht, das über Bewusstsein verfügt. 

Haben Insekten nun Bewusstsein?

Insekten sind die artenreichste Klasse der Tiere. Daher überrascht es auch nicht, dass die Unterschiede innerhalb der Insekten sehr gross sind. Dazu kommt: Insekten unterscheiden sich in vielen Bereichen stark von uns Menschen. Denn die oben beschriebenen Kriterien für Bewusstsein zeigen eine gewichtige Schwäche auf. Wir Menschen wissen, wie wir uns verhalten und welche Empfindungen wir dabei haben. Welche physiologischen Strukturen uns zugrunde liegen. Und wo wir evolutionstechnisch stehen. Mithilfe von systematischer und vergleichender Wissenschaft können wir so unser Wissen über andere Tiere immer mehr erweitern. Das Problem dabei ist: Je mehr sich ein Tier von uns Menschen unterscheidet, desto schwieriger ist es, dessen Verhaltensweise und Physiologie zu erforschen und umso weniger aussagekräftig ist deren evolutionäre Entwicklung.

Die Physiologie von Insekten ist nicht aussagekräftig: Sie besitzen zwar ein zentrales Nervensystem, das ein Gehirn umfasst, dieses ist jedoch klein und nicht sehr komplex. Was das Verhalten anbelangt, gibt es grosse Unterschiede. Bienen beispielsweise zeigen ein solch komplexes Verhalten, dass Forschende das Vorhandensein von Bewusstsein bei Bienen vermuten. Da die Unterschiede in der Physiologie jedoch gering sind, liegt die Vermutung nahe, dass alle Insekten über einfaches oder weniger einfaches Bewusstsein verfügen.1

Die Frage nach der Empfindungsfähigkeit einzelner Insektenarten ist also noch nicht abschliessend geklärt. Ein zunehmender Konsum von Insekten wirft jedoch zusätzlich noch weitere ethische Fragen auf: Weshalb sollten Millionen von Tieren zu unseren Zwecken getötet werden? Wie sollten sie gehalten werden? Denn das Tierschutzgesetz in der Schweiz schützt vorwiegend Wirbeltiere sowie Panzerkrebse und Kopffüsser. Im Zweifelsfall gilt deshalb noch immer: Wir können aus moralischer Sicht getrost auf den Konsum von Insekten verzichten, denn die moralisch verträglichste Ernährungsweise bleibt eine rein pflanzliche Lebensweise. Und die ist bereits heute problemlos möglich.

Bewusstsein vs. Empfindungsfähigkeit

In welcher Relation stehen Bewusstsein und Empfindungsfähigkeit zueinander? Nur bewusste Lebewesen können empfindungsfähig sein. Bewusstsein ist also eine notwendige Voraussetzung für Empfindungsfähigkeit – genauso wie dafür, Emotionen zu erleben, Überzeugungen zu entwickeln, handeln zu können und andere Fähigkeiten.
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