«Wie steht es mit Vitamin B12, das anscheinend in der veganen Ernährung fehlen soll? Es widerstrebt mir, zu einer natürlichen Ernährung einen Zusatzstoff nehmen zu müssen. Die Natur macht doch keine Fehler, nicht wahr?»
Frau G.M., Bern
Danke für Ihre Frage, die von allgemeinem Interesse ist, da sie mir oft gestellt wird. Als erstes möchte ich Sie fragen, was wir unter einem natürlichen Lebensstil verstehen. Heutzutage leben wir in einer Welt, in der wir täglich unzählige Kilometer zurücklegen, wir bewegen uns mit hoher Geschwindigkeit auf der Erde und in der Luft, wir können ans andere Ende der Welt in die Ferien fahren; wir haben fixe Arbeitszeiten, im Sommer wie im Winter; wir benutzen Antibiotika, können von Arthrose befallene Gelenke durch Prothesen ersetzen; wir haben fliessendes Wasser, das sauber ist und auf Wunsch auch warm; wir wohnen in isolierten Häusern, die je nach Bedürfnis geheizt oder klimatisiert werden können; wir haben Schuhe, Sonnenbrille und Deodorant; wir können in der Schweiz das ganze Jahr Mangos und Bananen essen, etc. Ich denke, Sie sehen, worauf ich hinaus will. Ich denke nicht, dass aktuell in der Schweiz viele Leute einen Lebensstil haben, den man als natürlich bezeichnen könnte.
Betrachten wir nun Ihre Frage auf ernährungswissenschaftlicher Ebene, so führt uns dies zuerst zur Thematik einer möglichen Unterversorgung an Vitamin B12, sowohl bei Personen mit einer omnivoren als auch bei solchen mit einer vegetarischen/veganen Ernährung: Aus Statistiken, die je nach Studie etwas variieren, ist klar ersichtlich, dass vegan lebende und ältere Personen ein höheres Risiko eines Vitamin-B12-Mangels haben als die anderen.
Vitamin B12 ist das Produkt eines Bakteriums, das in der Erde und in Tierdärmen vorkommt. Wir stellen es übrigens auch selbst her im Darm, wo es aber nicht absorbiert werden kann und somit mit dem Stuhl ausgeschieden wird. Unser Vitamin-B12-Bedarf ist minim (2-5 µg/Tag), jedoch unerlässlich, da ein Mangel an B12 Anämie und Schädigungen des Nervensystems verursachen kann, auf Dauer auch Herz-Kreislauf-Probleme. Symptome eines Vitamin-B12-Mangels sind: Müdigkeit, Kribbeln und Erstarren der Glieder, Verminderung der Schmerz- oder Druckempfindlichkeit, Sehstörungen, eine schmerzende Zunge sowie anormale Haltung und Gang.
Die bestmögliche Zufuhr an B12 liefern heutzutage Supplemente oder angereicherte Lebensmittel. Dies bietet den grossen Vorteil, dass durch das Vermeiden von tierischen Quellen gleichzeitig auch gesättigte tierische Fettsäuren, Cholesterin, schädliche tierische Eiweisse, Hormone, Antibiotika, etc. vermieden werden. Vitamin-B12-Supplemente und -angereicherte Lebensmittel bieten eine sichere, qualitativ hochwertige Zufuhr dieses lebenswichtigen Vitamins. In Bezug auf die Nahrungsergänzung gilt es zu bedenken, dass heutzutage die Tiernahrung in gleichem Masse angereichert wird wie jene der Menschen (was somit auch nicht sehr «natürlich» ist).
Bei einem aktuellen Tagesbedarf an Vitamin B12 von 2–5 µg bieten die Vitamine in Tablettenform oft sogar 500 bis 1000 µg pro Tablette, wobei es möglich ist, sie zu halbieren oder aber nicht täglich eine davon einzunehmen. Es gibt auch viele mit Vitamin B12 angereicherte Lebensmittel wie gewisse Getreideflocken und -drinks. Bei deren regelmässigem Konsum kann die Menge der Ergänzung in Tablettenform reduziert werden.
Wenn man heute von Gesundheit spricht, geht dies weit über das Individuum hinaus. Unser Lebensstil spiegelt unseren Willen, zur Gesunderhaltung des Planeten beizutragen und auf die Gesundheit der Lebewesen zu achten, die darauf leben (wenn 6 Milliarden Personen tierische Produkte konsumieren wollen, gibt es keine mögliche Alternative zur Massentierhaltung). Wir stehen also vor der Aufgabe, uns an unsere Epoche anzupassen und unser Bestmögliches zu leisten, um unseren ökologischen Fussabdruck klein zu halten. In Bezug auf das Vitamin B12 bedeutet dies, dass wir die ökologischste und sicherste Methode der Zufuhr an B12 wählen, die uns zur Verfügung steht: jene, die weder Tierleid noch Umweltschäden verursacht. Vitamin B12 in Tablettenform ist die beste Art zur Deckung unseres täglichen B12-Bedarfs: für unsere eigene Gesundheit und diejenige unseres Planeten.
Dr. Laurence Froidevaux
Expertin für pflanzenbasierte Ernährung
Übersetzung aus dem Französischen: Olivia Villard
Haben Sie Fragen zur Gesundheit im Zusammenhang mit vegetarischer oder veganer Ernährung? Wenden Sie sich an Dr. Laurence Froidevaux (Anfragen auf Deutsch werden von Swissveg übersetzt) an folgende Adresse: sante@swissveg.ch
- Vitamin B12 Faktenblatt
- Ob es pflanzliche B12-Quellen gibt, die ausreichend sind, ist nach wie vor umstritten. Insbesondere bei manchen Algen werden jedoch derzeit Untersuchungen gemacht, die vielversprechend sind: Methylcobalamin--a form of vitamin B12 identified and characterised in Chlorella vulgaris.; Characterization of vitamin B12 in Dunaliella salina.