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Wo liegt der Unterschied zwischen Mensch und Tier?

Genauso wie sich die Tiere untereinander unterscheiden, unterscheidet sich auch der Mensch in vielen Eigenschaften von anderen Tierarten. Zur Rechtfertigung, dass man Tieren ihr Leben nehmen kann, um den eigenen Gaumen zu befriedigen, wird oft der Unterschied zwischen Mensch und Tier stark hervorgehoben. Doch was sind dies genau für Unterschiede? Und wie gross sind sie wirklich?

Das Tierreich

Heute kann man in jedem Biologieunterricht lernen, dass der menschliche Körper dem Tierreich zugeordnet wird. Durch die Genforschung wird immer klarer, wie wenig der Mensch sich von den anderen Tieren unterscheidet. Die Unterschiede sind so minimal, dass man schon länger plant, defekte menschliche Organe durch tierische (z.B. vom Schwein) zu ersetzen. Rein körperlich bzw. genetisch sind die Unterschiede zwischen einem Schmetterling und einem Elefanten wesentlich grösser als zwischen einem Menschen und einem Schimpansen. Deshalb ergibt es biologisch gesehen keinen Sinn, die Menschen so stark von der restlichen Tierwelt zu trennen, wie manche es gerne tun würden.

Körperliche Überlegenheit

Der Mensch hat einen sehr universell nutzbaren Körper. Von allem kann der Mensch ein bisschen, aber nichts beherrscht er besser als alle anderen Tiere. Der Gepard rennt viel schneller, der Adler sieht besser, der Delphin schwimmt besser, die Vögel können fliegen, Hunde riechen besser, ein Gorilla ist viel stärker usw. Auf keinem Gebiet der körperlichen Fähigkeiten ist der Mensch den Tieren überlegen.
Hier mag man zwar einwenden, dass Menschen heute dank ihrer Technik fliegen können und sich schneller fortbewegen können als alle anderen Tiere. Doch sind die meisten dieser technischen Errungenschaften erst in den letzten Jahrzehnten bis Jahrhunderten entwickelt worden. Der Mensch war aber schon davor ein Mensch. Schliesslich behauptet niemand, dass die Menschen vor 1000 Jahren noch keine richtigen Menschen waren, weil sie noch nicht die heutigen technischen Mittel besassen.

Kommunikationsfähigkeit

Aber der Mensch hat doch eine hoch komplexe Sprache entwickelt? Diese Kommunikationsfähigkeit hat doch kein anderes Tier?
Auch dieser Mythos wurde durch Forschungen in den letzten Jahren stark relativiert. Man fand heraus, dass Wale sich über viele Kilometer verständigen können. Die menschliche Sprache reicht hingegen bestenfalls einige hundert Meter.
Die Kommunikationsfähigkeit mancher Tiere ist so komplex, dass sie bis heute noch nicht ganz entschlüsselt werden konnte. Andererseits ist es aber für manche Tiere nicht einmal so schwer, Teile der menschlichen Sprache zu erlernen. Im Juli 2004 wurde in einem Wissenschaftsmagazin der Border Collie Rico vorgestellt, der 200 Wörter verstand.1 Bei einem wissenschaftlichen Experiment konnte er nach nur einmaligem Erwähnen der Namen von 40 neuen Spielsachen 37 davon korrekt zuordnen. Versuchen Sie dies einmal nachzumachen. Von 40 Wörtern einer fremden Sprache nach nur einmaligem Hören 37 zu behalten. Diese Leistung wird nun von Chaser, einer Border-Collie-Dame, getoppt. Sie hat innerhalb von drei Jahren die Namen für über 1000 Spielzeuge erlernt. Zudem versteht sie auch die Bedeutung verschiedener Oberkategorien, «Ball» zum Beispiel steht für die insgesamt 116 weichen Kugeln, «Frisbee» für 26 verschiedene Wurfscheiben. Bei dieser Topleistung kommen sogar die mit ihr arbeitenden Tierpsycholog an ihre Grenzen, denn teilweise kann die Hündin die Objekte zuverlässiger identifizieren als die mit ihr arbeitenden Wissenschaftler.13 

Boder Collie mit Spielzeug im Maul

Damit wurde gezeigt, dass nicht nur Menschenaffen, Papageien, Delphine und Seelöwen solche bemerkenswerten Kommunikationsfähigkeiten haben. Je mehr Tierarten man intensiv untersucht, desto mehr ist man über deren Fähigkeiten überrascht.
Ein wesentliches Problem bei der Erforschung der Kommunikationsfähigkeit der Tiere ist, dass diese keinen Kehlkopf wie Menschen haben und die meisten deshalb nicht dieselben Laute hervorbringen können. Bei Versuchen mit Affen konnte man dieses Problem umgehen, indem man mit ihnen über Symbole kommunizierte, die man auf Tafeln festhielt. Der Bonobo-Affe Kanzi konnte so z.B. rund 200 Symbole korrekt verwenden. Er bildete damit nicht nur vorgegebene Sätze, sondern erfand auch eigene Sätze mit den zur Verfügung stehenden Symbolen.2 Zu Beginn der Experimente dachten die Wissenschaftler noch, dass die Symbole einen Bezug zu den entsprechenden Ausdrücken haben müssten. Später stellte man aber fest, dass auch völlig abstrakte Symbole von ihm gelernt werden können.

Kultur / Werkzeuge

Vor allem bei verschiedenen Affengruppen konnte man auch innerhalb der Art eine kulturelle Überlieferung feststellen. Wodurch auch dieses Privileg der Menschen zu Fall gebracht wurde. Gleichzeitig zeigen solche unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen auch auf, dass die Tiere nicht nur genetisch bedingt auf Umweltbedingungen reagieren. Zum Beispiel werden Gebrauch und Herstellung bestimmter Werkzeuge innerhalb einer Gruppe von Generation zu Generation weitergegeben.4 Noch vor wenigen Jahrzehnten dachte man, dass die Herstellung von Werkzeugen ausschliesslich unter Menschen vorkomme. Wissenschaftler der Universität Cambridge haben aber nachgewiesen, dass Krähen wahre Meister im Umgang mit Werkzeug sind. Die Tiere sind imstande, mit Geschick einen Draht zu einem Haken zu biegen, um damit einen kleinen Behälter mit Futter aus einem grösseren Behälter zu angeln.5

Selbstbewusstsein

Sich seiner selbst bewusst zu sein und über sich selbst nachdenken zu können. Dies wurde lange als ein wesentlicher Unterschied zwischen tierischem und menschlichem Bewusstsein angesehen. Heute weiss man durch viele psychologische Studien, dass sich auch in dieser Hinsicht das menschliche Bewusstsein nur wenig vom tierischen unterscheidet. Besonders bei Menschenaffen und Delphinen stellte man unzweifelhaft eine bestimmte Art von Selbstbewusstsein fest: Sie können sich selbst im Spiegel erkennen.6

Intelligenz

Doch der Mensch ist eindeutig intelligenter als die Tiere!? Unter Intelligenz versteht man üblicherweise die Fähigkeit des logischen Intellekts. Kein Tier kann eine komplexe Integralgleichung lösen, doch auch viele Menschen können dies nicht. Bei einem Intelligenztest würde ein erwachsener Schimpanse besser abschneiden als ein neugeborenes Menschenkind. Ist deshalb der Schimpanse mehr Mensch als der menschliche Säugling?
Da sich der Mensch nach der Geburt langsamer entwickelt als viele andere Tiere, sind ihm sogar gleichaltrige Menschenaffen in den ersten Monaten intellektuell überlegen.7  Und Schimpansen arbeiten am Computer schneller und exakter als Menschen. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Forschenden an der Universität von Kyoto, bei der es in einem Versuch mit Studierenden darum ging, Zahlenreihen wiederzugeben, die nur kurz auf dem Testmonitor aufblinken. 

Zwei Schweine liebkosen sich

Zur Grenzziehung zwischen Mensch und Tier eignet sich also auch diese Art von Intelligenz nicht. Schweine sind mindestens so intelligent wie Hunde. Dennoch werden sie von den Menschen ganz anders behandelt.

Gerechtigkeitssinn / Fairness

Um beurteilen zu können, ob etwas gerecht ist, muss man Vergleiche anstellen und sich in die Lage anderer versetzen können. Seit wenigen Jahren wurde wissenschaftlich abgesichert, dass auch diese Fähigkeit nicht dem Menschen alleine vorbehalten ist. Die englischsprachige Wissenschaftszeitschrift «Nature» berichtete im September 2003 über ein Experiment mit Kapuzineraffen:8 Sie konnten Spielsteine gegen Gurken eintauschen. Alle waren so lange zufrieden, bis einer der Affen statt der Gurke jeweils die viel beliebteren Weintrauben erhielt. Dies wurde als so ungerecht empfunden, dass die anderen ihre ansonsten begehrte Gurke verschmähten, ja teilweise ihre Spielsteine sogar fortwarfen, solange der andere mehr dafür erhielt. Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit scheint eine Forderung zu sein, die auch unter Affen Gültigkeit hat. Auch bei Schimpansen konnte der Gerechtigkeitssinn nachgewiesen werden.9

Menschlichkeit und Mitgefühl

Schon am Wort Menschlichkeit bzw. Humanität sieht man, dass geglaubt wird, dass nur Menschen die Fähigkeit haben, human zu handeln. Mittlerweile weiss man jedoch, dass Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe kein ausschliessliches Privileg der Menschen ist. Mitleid und Zusammenhalt können oft bei Tiergruppen stärker ausgeprägt auftreten als bei vielen Menschengruppen.10 (Mehr dazu in der Rubrik «Mitgefühl: Selbstloses Handeln im Tierreich»)

Fragwürdiges Fundament für die Überlegenheit des Menschen

Trotz allem haben die Menschen sich die Erde «untertan gemacht». Dies geschah jedoch nicht auf einer ethischen, moralischen Basis, sondern auf dem schlichten Recht des Stärkeren, da der Mensch in der Herstellung von Tötungswaffen allen Tieren bei weitem überlegen ist. Ausserdem ist kein Tier so flexibel im Denken und Handeln wie der Mensch.
Doch dies als Rechtfertigung für die heutige Behandlung unserer Mitgeschöpfe zu benutzen, bedarf der Unterdrückung all derjenigen Eigenschaften, von denen immer wieder behauptet wird, sie stellen den Menschen über das Tier: Mitgefühl, Nächstenliebe, Moral. Wenn diese Eigenschaften, welche die Menschen den Tieren absprechen und ihnen auch nicht zukommen lassen wollen, entwickelt werden würden, könnte ein neues Miteinander zwischen Mensch und Tier entstehen, von dem beide Seiten sehr profitieren würden.

Aufzuhören, die Tiere als blosse Nahrungsmittel zu behandeln und als Fleischlieferanten zu töten, wäre ein erster und notwendiger Schritt, das Mensch-Tier-Verhältnis zu harmonisieren. Dazu würde es bereits genügen anzuerkennen, dass die Leidensfähigkeit zwischen Mensch und Tier sich nicht grundsätzlich unterscheidet.

Renato Pichler

Buchtipp
Für alle, die mehr über die Intelligenz und Gefühle der Tiere erfahren möchten, ist ein neues Buch von Jonathan Balcombe erhältlich. In «Tierisch vergnügt» zeigt der Tierverhaltensforscher auf, dass Tiere durchaus in der Lage sind, auch positive Gefühle wie Freude auszudrücken.
Das Buch ist auch in Englisch erhältlich:
ISBN 1403986010 
 

 

  1. Collie dog’s word power impresses, BBC news, 11. Juli 2004
  2. Sue Savage-Rumbaugh und Roger Lewin: Kanzi, der sprechende Schimpanse: Was den tierischen vom menschlichen Verstand unterscheidet, Droemer-Knaur-Verlag, 1995
  3. J. Allen Boone: Kinship with all Life – Simple, challenging, real-life experiences showing how animals communicate with each other and with people who understand them.
    Und: "Testing a Language - Using a Parrot for Telepathy" von Rupert Sheldrake 
    Weitere Bücher zu diesem Thema: Interspezieskommunikation
  4. Michael Krützen: Hüterinnen des Wissens – Bei Delfinen werden Kenntnisse von Mutter zu Tochter weitergegeben, 7.6.2005
  5. National Geographics News: Crow Makes Wire Hook to Get Food, 8.8.2002
  6. Volker Arzt und Immanuel Birmelin: Haben Tiere ein Bewusstsein? – Wenn Affen lügen, wenn Katzen denken und Elefanten traurig sind, Goldmann-Verlag, 1995
  7. Der Spiegel: Bruder Affe ist manchmal schlauer, 13.2.2005
  8. Sarah F. Brosnan: Monkeys reject unequal pay, Nature 425, 297-299 (18.9.2003) und:
    Der Spiegel: Gerechtigkeitssinn: Affen wollen nicht mit Gurken handeln, 18.9.2003 und: Stern: Verhaltensforschung: Affen haben Gespür für Gerechtigkeit, 17.9.2003, ORF: Affen haben einen Sinn für Gerechtigkeit
  9. Hamburger Abendblatt: Gerechtigkeitssinn der Affen, 1.2.2005
  10. Die Welt: Trauernde Elefanten überfallen ein Dorf, 24.5.2004
  11. EVANA: Nach Tsunami: Tiere faszinieren Menschen, 18.1.2005
  12. Animal parenting, personality and pair-ups
  13. Video: www.youtube.com/watch?v=KbI13nbDRRI
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