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Einsatz von Antibiotika in der Viehwirtschaft

Knapp 18 Tonnen Antibiotika wurden 2023 in der Schweiz an Tiere verabreicht – auch an gesunde.1 Das entspricht über 16 Millionen Behandlungen mit Antibiotika. Grund dafür ist, dass die Zustände in der Nutztierhaltung auch in der Schweiz so desolat sind, dass regelmässige Antibiotikaabgaben nötig sind.

Antibiotikaeinsatz weit verbreitet

Trotz des Ziels, den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung zu verringern, um Antibiotikaresistenzen zu vermeiden, ist die Zahl der Behandlungen im vergangenen Jahr um 2,1 % gestiegen. Dies zeigt der aktuelle Bericht des BLV zum Antibiotikaverbrauch in der Veterinärmedizin.2 Die meisten Behandlungen wurden mit über 8 Millionen bei Fischen durchgeführt – an zweiter Stelle steht Geflügel mit 7 Millionen Behandlungen im Jahr 2023. Im Verhältnis zur Anzahl Tiere wurden Milchkühe mit Abstand am häufigsten behandelt: Pro 1'000 Tiere gab es durchschnittlich 953 Behandlungen, was im Vergleich zum Vorjahr einem Anstieg von 24,3 %  entspricht – verglichen mit dem Jahr 2020 sind es sogar 40 % mehr. An zweiter Stelle der Tierbehandlungen steht die Rinderaufzucht und -mast mit 457 Behandlungen – 2,7 % mehr als im Vorjahr.

Antibiotikaresistenzen durch Nutztierhaltung

Besonders besorgniserregend ist der zunehmende Einsatz kritischer Antibiotika. Diese Wirkstoffklassen sind für die Behandlung von Infektionskrankheiten in der Humanmedizin unverzichtbar. Da seit mehr als 30 Jahren kaum neue Antibiotika entwickelt wurden, ist ein sparsamer Einsatz dieser Medikamente entscheidend, um die Entstehung von Resistenzen zu verhindern.3 
Trotz eines Rückgangs der Wirkstoffmenge kritischer Antibiotika um 2,3 % im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr, wurde ein leichter Anstieg beim Verkauf dieser Antibiotika verzeichnet. Über 90 % der kritischen Antibiotika wurden für Rinder verschrieben, wobei Mastkälber und -rinder die grössten Mengen erhielten. Bei Milchkühen, Aufzuchtkälbern und -rindern, Mutterkühen sowie Mutterkuh-Kälbern wurde zudem ein geringfügiger Anstieg der verabreichten Wirkstoffmenge kritischer Antibiotika festgestellt. Ein möglicher Grund hierfür könnte sein, dass einige orale Produkte für Gruppentherapien ohne kritische Wirkstoffe nicht mehr verfügbar sind und deshalb auf Alternativen, darunter solche mit kritischen Wirkstoffen, zurückgegriffen werden musste.


Das BLV selbst erkennt den Ernst der Lage und fordert:

«Besonders beim Milchvieh und in der Kälbermast müssen Ansätze entwickelt werden, die den Antibiotikaverbrauch senken, ohne die Tiergesundheit und das Tierwohl zu gefährden.»

Antibiotika als Standardkur

Doch Antibiotika werden nicht nur in Akutfällen, sondern auch prophylaktisch genutzt: Bereits  Kälbern wird im Alter von wenigen Wochen standardmässig eine Antibiotika-Kur verabreicht. Insbesondere in grossen Kälbermastbetrieben ist dies gemäss Beat Mühlethaler, ehemaliger Geschäftsführer der Kälbermastorganisation Univo, überhaupt nicht mehr anders möglich. Denn durch die Haltungsart von über hundert Tieren auf engstem Raum ist die Ansteckungsgefahr mit verschiedensten Krankheitskeimen besonders hoch. Einzelne kranke Tiere können nicht mehr ausgemacht werden, weshalb prophylaktisch die ganze Herde behandelt wird. Dies geschieht, indem dem Milchpulver, das den Kälbern als tägliche Nahrung dient, 10 Tage lang Antibiotika beigemischt wird. Diese Kur wird dann im Abstand von 14 Tagen zwei bis drei weitere Male durchgeführt.

Jährlich 80 Millionen Liter Milch unbrauchbar

Auch auf gewöhnlichen Höfen gehört der Umgang mit Antibiotika zum Alltag. Bei Milchkühen kommen Krankheiten wie Euterentzündungen oder leichte Verletzungen so häufig vor, dass nicht jedes Mal der Tierarzt gerufen wird, sondern die Landwirte das entsprechende Antibiotikum bereits vorratsmässig im Schrank aufbewahren und selbstständig verabreichen. Tatsächlich behandeln die Bauern in der Schweiz laut Studienergebnissen die Euter ihrer Milchkühe häufiger mit Antibiotika als sonst irgendwo in Europa, und dies bereits seit Jahren.4 So wird eine Schweizer Kuh im Durchschnitt fast jedes Jahr mit Antibiotika am Euter behandelt – dreimal so häufig wie österreichische, 18 Mal so häufig wie dänische, und ganze 90 Mal öfter als norwegische Kühe.5

Die Infektionsanfälligkeit der Kühe ist aufgrund der hohen Erwartungen an ihre Milchleistung erhöht. Da jedoch die Milchqualität ebenfalls durch Entzündungen beeinträchtigt wird, werden die Kühe oft bereits prophylaktisch behandelt, was wiederum zu Antibiotikarückständen in der Milch führt, die in der Folge nicht verkauft werden darf. Als Resultat sind jährlich rund 80 Millionen Liter Milch unbrauchbar – das entspricht dem jährlichen Konsum von 1.5 Millionen Schweizern. Diese Milch wird häufig Kälbern gegeben oder in den Dünger geschüttet, was wiederum die Bildung antibiotikaresistenter Keime fördert, die über Gemüse oder Salat in den menschlichen Organismus gelangen und zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen beim Menschen führen können.6

Abgabe von Antibiotika verboten

Genau betrachtet verstossen diese Praktiken gegen das Tierschutzgesetz. Diese Ansicht vertritt die Zürcher Kantonstierärztin Regula Vogel:

«Wenn eine Haltungsform nur funktioniert, wenn man routinemässig bereits im Voraus Antibiotika verabreichen muss, dann steht dies im Widerspruch zum Tierschutzgesetz.»

Doch gegen die Abgabe von Antibiotika in der Landwirtschaft vorzugehen ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Denn sowohl Tierärzte als auch Landwirte profitieren wirtschaftlich von der Behandlung mit Antibiotika. Im Zuge der Revision des Heilmittelgesetzes schlug das Bundesamt für Gesundheit BAG vor, die tierärztliche Antibiotikaabgabe einzuschränken. Die Vernehmlassung zeigte aber, dass dieser Vorschlag auf sehr starke Opposition stiess. Besonders die Bauernvertreter im Parlament wehrten sich geschlossen gegen diesen Vorschlag, wie Urs Schneeberger vom BAG gegenüber dem Schweizer Fernsehen mitteilte.

Profit vor Gesundheit

Der Grund, weshalb überhaupt so grosszügig mit Antibiotika umgegangen wird, ist klar: Fleisch muss günstig sein. Zu Biofleisch wird nur selten gegriffen: Nur 6,2 % des verkauften Fleischs und Fischs waren 2020 bio, beim Poulet sogar nur 2,8 %.7 Auch in der Bio-Haltung ist der Einsatz von Antibiotika erlaubt. Für die Fleischproduzenten lohnt es sich nicht, zu viel Platz, zu viel Zeit und zu viel Arbeit in die Tiere zu investieren.  Den Preis dafür zahlen in erster Linie die Tiere, die unter diesen Bedingungen ihr Leben fristen müssen. Schon jetzt ist aber absehbar, dass sich dieses Vorgehen an den Menschen rächt. Denn der Konsum tierischer Produkte trägt zur Verbreitung antibiotikaresistenter Bakterien bei, die zunehmend auch Menschen betreffen. In der Schweiz können jährlich mehrere tausend Patienten aufgrund dieser Resistenzen nicht mehr erfolgreich gegen Infektionen behandelt werden, was tödliche Folgen haben kann. Das BAG schätzt, dass in der Schweiz jährlich rund 300 Menschen an Infektionen mit resistenten Erregern sterben. Obwohl die Resistenzraten insgesamt vorläufig stabil geblieben sind, ist bei bestimmten Erregern seit 2005 ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Laut dem BAG stellen Antibiotikaresistenzen weiterhin eine erhebliche Herausforderung dar.8

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