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Vegi-Tag in Gent, Belgien

240 000 Einwohner zählt die belgische Stadt Gent. Künftig sollen möglichst viele von ihnen fleischlos leben – zumindest für einen Tag pro Woche.

Der Donnerstag wurde in Gent in Ostflandern zum «Vegi-Tag». In den städtischen Kantinen gibt es an diesem Wochentag vorwiegend Vegetarisches. Auch die Schulen machen mit: Donnerstags kommt dort kein Fleisch mehr auf die Teller.

Am 13. Mai 2009 initiierte Tom Balthazar, Ratsmitglied der Gesundheits- und Umweltkommission in Gent, den «Thursday Veggie Day» (Donnerstag ist Vegetariertag), der in Zusammenarbeit mit der belgischen Vegetarierorganisation EVA (Ethical Vegetarian Alternative) organisiert wurde. Fast unmittelbar nach der Verteilung der Pressemeldung, in welcher der wöchentliche fleischfreie Tag angekündigt wurde, setzte eine internationale Reaktion ein, die selbst die Organisatoren wohl nicht in einem solchen Ausmass erwartet hätten.
Wir wollten mehr über dieses bemerkenswerte Projekt wissen und fragten Tobias Leenaert von EVA nach Einzelheiten über den Hintergrund dieser Kampagne, die Vorbereitung und das weltweite Echo.

Tobias, zuerst einmal möchten wir dir und deiner Organisation ganz herzlich zu diesem unglaublichen Erfolg der «Thursday Veggie Day»-Kampagne gratulieren. Hattest du mit dieser enormen internationalen Aufmerksamkeit gerechnet?

Tobias Leenaert: Überhaupt nicht. Ich dachte, wenn wir schon eine internationale Pressemitteilung machen, dann sollte es jetzt sein, denn es ist ja wirklich eine ganz neue und aussergewöhnliche Sache. Aber ich hab wirklich nicht ein solches Echo erwartet.

Könnte deiner Meinung nach dieser unglaubliche Medienrummel etwas damit zu tun haben, dass die Menschen überall nur auf den mutigen Politiker gewartet haben, der bei fleischlosen Initiativen die Führung übernimmt? Kannst du uns vielleicht ein bisschen mehr über die Reaktionen erzählen?

Wir wissen, dass das Bewusstsein der Menschen über Fleisch - und besonders der Zusammenhang mit der globalen Erderwärmung - wächst. Ja, vielleicht sind sich viele bewusst, dass etwas Entscheidendes geschehen muss, was in gewissem Masse nur durch politischen Mut gesichert werden kann. 
Die eintreffenden Reaktionen sind wunderbar. Wir erhielten nicht nur die Aufmerksamkeit der weltweiten Presse, sondern auch Glückwünsche von Organisationen und Personen aus der ganzen Welt. Die Leute sagen, dass sie durch diese Idee inspiriert wurden, und das war genau das Ziel unserer Pressemitteilung. Ich finde es toll, dass uns die Demonstration über den Erfolg derartiger Initiativen gelungen ist; dieses Beispiel wird den Start ähnlicher Projekte für andere Gruppen und Städte einfacher machen.

Wie hat dieses Projekt überhaupt angefangen? Wer hatte die Idee? Wie lange dauerte die Vorbereitungsphase?

Unsere Kampagne zum fleischfreien Donnerstag läuft nun ungefähr anderthalb Jahre. Ich glaube, wir hatten selbst die Idee, fanden aber später heraus, dass es in den USA schon «Meatless Mondays» (fleischfreie Montage) gibt.

Wie hast du es geschafft, einen derart konstruktiven Draht mit den Behörden von Gent herzustellen? War sofort Interesse vorhanden oder musstest du eine Menge Überzeugungsarbeit leisten?

Es hat uns geholfen, dass wir letztes Jahr Rajendra Pachauri, den Vorsitzenden des UNO-Weltklimarates, von einem Besuch in Gent überzeugen konnten (wir haben ihn einfach gefragt, falls du genauer wissen willst, wie wir das gemacht haben). Bei der Gelegenheit sprach er zum ersten Mal ausführlich über Fleisch und die globale Erwärmung. Tom Balthazar, Ratsmitglied der zuständigen Umweltkommission, war ebenfalls dort; er wurde mehr und mehr überzeugt von den Argumenten. Wir nahmen Kontakt auf zu zwei seiner Mitarbeiter, die ebenfalls sehr begeistert waren. Wir schlugen ihnen dann vor, Balthazar zu fragen, ob er bereit wäre, den Donnerstag offiziell als Vegetariertag zu erklären.
Wir sind übrigens sehr stolz darauf, dass Dr. Pachauri sich von unserer Idee eines wöchentlichen Vegetariertags inspirieren liess und sie überall selbst in der ganzen Welt verbreitet.

Aber waren vielleicht einige der Politiker bereits Vegetarier, wodurch diese konstruktive Zusammenarbeit einfacher wurde?

Überhaupt nicht. Trotzdem ist Gent grundsätzlich eine sehr vegetarierfreundliche Stadt. Wir haben 13 vegetarische Restaurants bei einer Einwohnerzahl von 240 000 Menschen; das ist mehr als in jeder mir bekannten westlichen Stadt.

Kommen eure politischen Partner hauptsächlich aus dem öffentlichen Gesundheitssektor oder sind auch Umweltexperten vertreten?

Ratsmitglied Tom Balthazar ist zurzeit für die vier Abteilungen zuständig, die wir normalerweise als die vier guten Gründe für den Vegetarismus benennen: Gesundheit, Ökologie, Tierschutz und Nord-Süd-Beziehungen. Also war er derjenige, den wir gewinnen mussten.

Eine deutsche Zeitung erklärte Gent als die Hauptstadt der Vegetarier. Eure Beamten müssen ja sehr erfreut sein über diese Art der PR für ihre Stadt?

Ja, sie schienen begeistert. Tatsächlich hörte ich den Bürgermeister am Radio, und er gab an, dass die Kampagne ein Teil seines grossen Marketingplanes für die Stadt sei.

Gibt es irgendwelche Pläne für veg* Touristen, die in Gent am fleischlosen Donnerstag teilnehmen möchten?

Ich hoffe, dass sie unsere vegetarische Stadtkarte auf Holländisch lesen können. Das sollte eigentlich nicht allzu schwer sein. Aber natürlich können sie uns auch jederzeit gerne kontaktieren.

Kannst du uns mehr über die «vegetarische Hauptstadt» erzählen? Wie kam es zu dieser unglaublichen Vielfalt von vegetarischen Läden und Restaurants?

Ehrlich gesagt weiss ich das auch nicht. Es ist eben eine sehr fortschrittliche Stadt mit vielen Studenten.

Welche Städte haben sich schon erkundigt in der Absicht, auch selbst fleischfreie Tage einzuführen?

In Belgien gibt es bis jetzt zwei (Hasselt und Merelbeke). Die Grünen werden einen Vorschlag für Leuven vorlegen. Wir erhielten E-Mails von Deutschen, von Animal Aid und Peta UK, die mehr Informationen haben wollten für mögliche eigene Projekte.

Was ist dein Rat für jede Vegetarierorganisation, die dem EVA-Beispiel folgen und selbst tragfähige Kontakte mit politischen Entscheidungsträgern herstellen möchte?

Das Klima ist zwar momentan gut für Vegetarier (kein Wortspiel), aber gleichzeitig muss eine Organisation auch glaubwürdig sein. Ich glaube, dass wir auch die einzige vegetarische Organisation in der Welt sind, die strukturell von der nationalen Regierung getragen wird (wir begannen als ehrenamtliche Organisation und erhielten später Fördermittel vom Staat. Wohlgemerkt – wir sind völlig unabhängig). Wir haben viele Jahre an einem glaubwürdigen und professionellen Image gearbeitet. Es hilft, keine Tierrechtsorganisation zu sein, da Administrationen und Institutionen mehr an Gesundheits- und Umweltargumenten interessiert sind.

Ist EVA überall in deinem Land vertreten? Wenn nicht, gibt es Pläne für eine Ausweitung des Tätigkeitsfeldes, sodass ähnliche Kampagnen auch in anderen Regionen Belgiens gefahren werden können?

Wir wollen auf jeden Fall unser Tätigkeitsfeld ausweiten und so viele Städte wie möglich erreichen, und wer weiss, vielleicht gibt es sogar eines Tages einen nationalen vegetarischen Tag. Momentan arbeiten wir aber nur in Flandern (das ist der holländisch sprechende Teil von Belgien).

Tobias, wir drücken dir die Daumen, dass diese grossartige Initiative wachsen und sich in den nächsten Jahren noch mehr ausbreiten wird. Ich danke dir vielmals für die Zeit, die du dir für die Beantwortung unserer Fragen genommen hast.

 

Herma Caelen, Swissveg-Korrespondentin in Belgien, sprach mit Tobias Leenaert.

Übersetzung: Bernadette Raschle

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