Im Jahr 2007 erschien eine Ausgabe von «The Lancet» zu den Themen Nahrungsmittel, Tierhaltung, Energie, Klimawandel und Gesundheit. Wie alle Artikel, die im «Lancet» erscheinen, wurde auch dieser von anerkannten wissenschaftlichen Fachleuten erstellt. Es arbeiteten daran Experten von der australischen Universität in Canberra, von der Cambridge-Universität in England, einer Ausbildungsstätte in London und der Universität von Santiago de Chile.
Weshalb publizierte «The Lancet» als medizinische Fachzeitschrift einen solchen Artikel?
In den allermeisten Artikeln im «Lancet» geht es um ganz spezielle Detailfragen der Medizin. Oft wurden auch Studien veröffentlicht, die den Wert einer gesunden Ernährung belegten. Dennoch wurden immer nur Teilaspekte angesehen. Diese Artikelserie gibt deshalb das fehlende grössere Bild wieder. Es wurden nicht nur die Auswirkungen spezifischer Stoffe in bestimmten Nahrungsmitteln untersucht, sondern auch die Auswirkungen der ganzen Nahrungsmittelproduktion auf die menschliche Gesundheit direkt und auf die Umwelt (was indirekt wieder auf den Menschen zurückkommt) analysiert.
Es ist leicht nachvollziehbar, dass es wenig Sinn macht, über die Auswirkungen bestimmter Aminosäuren auf die menschliche Gesundheit zu diskutieren, wenn durch den Klimawandel schlicht nicht mehr genügend Nahrung für alle Menschen produziert werden kann. Deshalb ist das Thema Umweltschutz durchaus auch ein medizinisch relevantes Thema.
Kernaussagen
- Der Ausstoss von Treibhausgasen aus der Landwirtschaft macht rund 22% der Gesamtemissionen aus. Dies ist in etwa gleich viel wie derjenige der gesamten Industrie und mehr als der gesamte weltweite Verkehr. Fast 80% davon gehen auf Kosten der Tierhaltung.1
- Das Stoppen der weiteren Erhöhung des Treibhausgasausstosses aus der Landwirtschaft, insbesondere der Viehhaltung, sollte deshalb höchste Priorität haben, weil man damit die Erhöhung der Durchschnittstemperatur der Erde stark einschränken könnte.
- Vorhandene Technologien zur Verringerung von durch Viehhaltung verursachten Emissionen würden die Klimabelastung um nicht mehr als 20 Prozent verringern. Gemäss ihrer generellen Strategie zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen befürworten die Autoren deshalb die Reduzierung des Konsums tierischer Produkte. Die Verringerung des Pro-Kopf-Verbrauchs in Staaten mit hohem Einkommen würde dann das allgemein reduzierte Niveau des Fleischkonsums definieren, das Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen auch erreichen könnten.
- Wenn bis 2015 jeder Mensch nur noch durchschnittlich 90 g Fleisch pro Tag konsumiert, kann der Klimakollaps verhindert werden. Vor allem die Menschen in den Industrienationen sind dazu aufgerufen, ihren momentanen Durchschnittskonsum von 240g pro Person zu reduzieren.
- Wenn man davon ausgeht, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahre 2050 um 40% zunimmt, müsste der durchschnittliche Fleischkonsum auf 90 g pro Tag sinken, um die Treibhausgase aus der Tierhaltung auf dem heutigen Niveau halten zu können. Dies alleine würde also bereits eine starke Reduzierung des Fleischkonsums voraussetzen.
- Eine substantielle Reduzierung des Fleischkonsums in Staaten mit hohem Durchschnittseinkommen würde der Gesundheit zugutekommen. Hauptsächlich durch die Reduzierung von ischämischen Herzerkrankungen, krankhaftem Übergewicht (Adipositas), Dickdarmkrebs und eventuell noch anderen Krebsarten.
Weitere Erkenntnisse
Die Autoren der neuen Studie weisen auch darauf hin, dass die Welternährungsorganisation FAO nur sehr langsam auf die Auswirkungen der Landwirtschaft auf den Klimawandel aufmerksam wurde. Im FAO-Report von 2003 wurde sogar noch behauptet, dass der Klimawandel ein zukünftiges Problem sei mit nur kleinen oder sogar positiven kurzfristigen Auswirkungen.
Der Trend zu immer noch mehr Fleisch ist weltweit leider weiterhin ungebrochen: Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Fleischkonsum in China sogar verdoppelt. Die Folge: 1993 war China noch ein Sojaexporteur. [Kühe im Stall] Heute muss China Soja importieren (hauptsächlich aus Brasilien), um all seine Nutztiere füttern zu können. Indien, Südafrika und einige andere Länder mit steigendem Fleischkonsum beginnen nun auch, vermehrt Soja zu importieren.
Im selben Jahrzehnt stieg der Sojaimport in die EU von 3 auf 11 Millionen Tonnen. Ein Teil davon ist allerdings darauf zurückzuführen, dass man den Rindern keine Schlachtabfälle mehr verfüttern darf.
Leider wird das Thema «vegetarische Ernährung» auch in dieser «Lancet»-Studie nicht erwähnt, obwohl die empfohlenen Massnahmen von den Vegetariern bereits heute vorbildlich erfüllt werden.
Auch wenn man die Senkung des durchschnittlichen Fleischkonsums auf maximal 90 g pro Tag und Person anstrebt, wird dieses Ziel ohne zukunftsweisende Vegetarier nicht erreichbar sein. Denn es wird immer nur ein Teil der Bevölkerung aus Rücksicht auf ihre Mitmenschen und die Natur bereit sein, ihre Gewohnheiten umzustellen. Deshalb sollten diejenigen, denen die Zukunft unseres Planeten am Herzen liegt, markant weniger als die maximal erlaubte Menge Fleisch konsumieren, um damit das Verhalten der vielen unbewusst lebenden Menschen auszugleichen.2
- Für aufmerksame Leser: Die FAO errechnete 18% für die Tierhaltung (siehe Vegi-Info 2007/3), dies entspricht ziemlich genau den 80% von 22%.
- Artikel «Food, livestock production, energy, climate change, and health» von Anthony J. McMichael et al., in: The Lancet, Band 370, Ausgabe 9594, Seiten 1253 - 1263, 2007.