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Straight Edge

Filip von «Storm of Justice» erzählt im Swissveg-Interview mehr zum Thema Vegan Straight Edge

Wer oder was genau ist «Storm Of Justice»?

Storm Of Justice existiert seit August 2004. Es ist hauptsächlich ein Musik-Label, unter dessen Namen ich CDs und LPs von befreundeten Vegan-Straight-Edge-Bands veröffentliche. Ausserdem gehört auch noch ein kleiner Musik-Vertrieb dazu, mit dem ich Veröffentlichungen diverser Vegan-Straight-Edge-Bands verkaufe.
Ich selbst sehe Storm Of Justice aber nicht als «normales» Musik-Label. Das wichtigste Ziel ist, die Vegan-Straight-Edge-Message zu verbreiten. Storm Of Justice ist sozusagen meine «Waffe» im Kampf für die Tiere und die Erde.

Was bedeutet «Straight Edge»?

Straight Edge bedeutet, grob gesagt, ein drogenfreies Leben zu führen. Als Drogen gelten selbstverständlich auch Gifte wie Alkohol und Tabak. Was inzwischen leider bei vielen Straight Edgern vernachlässigt wird, aber ursprünglich genauso dazugehört wie das Nein-Sagen zu Drogen, ist ein nicht-promiskuöser Lebensstil. Es geht bei Straight Edge darum, eine positive Einstellung zu seinem eigenen Leben und seinem Körper zu entwickeln, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und seine eigenen Entscheidungen zu treffen.

Woher kommt diese Bewegung?

Wer «Straight Edge» wirklich erfunden hat, ist nicht zu 100% sicher. Die am weitesten verbreitete Ansicht geht aber davon aus, dass Straight Edge von der US-amerikanischen Band «Minor Threat» «erfunden» wurde. Die Bandmitglieder hatten die Schnauze voll vom ewigen Drogenkonsum und dem «No Future»-Gerede innerhalb der damaligen Punkszene. Jugendlichen, die noch keinen Alkohol an der Bar eines Clubs kaufen durften, wurde damals ein «X» auf den Handrücken gemalt, damit der Barkeeper klar sah, dass er dieser Person keine alkoholischen Getränke ausschenken durfte. Dieses «Markenzeichen» hat die Straight-Edge-Szene übernommen. Bis heute malen daher viele Straight Edger ein «X» auf ihre Handrücken, um ihre Gesinnung auszudrücken.

Viele Leser werden noch nie etwas von dieser Bewegung gehört haben. Wie bekannt ist die Straight-Edge-Bewegung überhaupt, und wer fühlt sich durch diese Lebensweise angesprochen?

«Straight Edge» ist heutzutage nicht sehr bekannt. Im Gegensatz zu den Neunzigern, in denen die Straight-Edge-Szene sehr viele Anhänger zählte. Den Begriff «Straight Edge» kennt man auch jetzt fast nur in der Hardcore-Szene. Die meisten Menschen, die sich nicht mit dieser Musik beschäftigen, werden nicht wissen, was Straight Edge bedeutet (falls sie diesen Begriff überhaupt schon einmal gehört haben). Es handelt sich also nach wie vor (leider) um eine eher unbekannte Philosophie. Vor allem auch in der Schweiz, wo es immer noch «cool» ist zu rauchen. Nach wie vor wird meiner Meinung nach viel zu wenig gemacht, um den blauen Dunst einzudämmen.
Es ist noch anzufügen, dass man nicht an einem Wochenende straight edge sein kann und am nächsten dann wieder betrunken von Disco zu Disco rennt. Ein sehr wichtiger Punkt in der Straight-Edge-Bewegung ist, dass man sich an sein Versprechen, ein solches Leben zu führen, hält. Wer sein Versprechen bricht und «dropt» (to drop [engl.] = fallen(-lassen), aufhören), macht sich innerhalb der Straight-Edge-Szene nicht gerade beliebt (um es gelinde auszudrücken).

Ist «Straight Edge» vor allem eine Jugendbewegung, oder zählen auch ältere Personen zu den Anhängern?

Straight Edge selbst ist eine sehr junge Bewegung. Natürlich gibt es Personen, die schon seit 20 Jahren «straight» leben. Leider entschliessen sich auch sehr viele Leute nach wenigen Jahren dazu, wieder ein ihrer Ansicht nach «normales» Leben zu führen. Dies führt zu einem grossen Streitpunkt innerhalb der Bewegung. Denn es gibt nicht eine Straight-Edge-Szene. Auch innerhalb der Bewegung gibt es verschiedene Auffassungen. So bedeutet heutzutage für viele Edger/-innen «Straight Edge» lediglich der Verzicht auf Drogen. Anti-Promiskuität ist oft kein Thema mehr. Ein weiterer Punkt, bei dem sich die Meinungen unterscheiden, ist die Auffassung, ob Straight Edge eine persönliche Entscheidung ist oder nicht. Etwas genauer ausgedrückt heisst das: «Soll man Menschen akzeptieren und mit ihnen kooperieren, die nicht straight edge sind?» Dies ist ein grosser Streitpunkt.
Aber um auf die Frage zurückzukommen, ist Straight Edge (zurzeit) vor allem eine Jugendbewegung. Erst in den kommenden Jahrzehnten wird sich zeigen, wer seinem Versprechen treu geblieben ist.

Was hat «Straight-Edge» mit vegetarischer Ernährung zu tun? Leben alle Anhänger der Straight-Edge-Bewegung vegetarisch?

Eigentlich nichts. Es ist aber so, dass sehr viele (vor allem in Europa) Straight Edger auch vegetarisch oder vegan leben.

Von  [Straight Edge] Vegetariern oder sogar Veganern erwartet man eigentlich eher, dass sie ruhige oder meditative Musik hören. Der Straight-Edge-Sound entspricht aber überhaupt nicht diesem Vorurteil. Warum entscheiden sich die Anhänger der Bewegung für diesen lauten und rockigen Musikstil?

Ich denke nicht, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun hat. Es ist ja auch nicht so, dass ich ausschliesslich Hardcore höre. Die meisten Straight Edger/-innen wurden durch die Hardcore-Musik erst auf die Straight-Edge-Bewegung aufmerksam, da diese ursprünglich aus der Hardcore-Szene entstand. Man kann also sagen, dass die Straight-Edge-Szene eine «Untergruppe» der Hardcore-Szene ist. Zumindest war das früher so. Inzwischen ist es (in der Schweiz) eher so, dass die beiden «Szenen» eigene Wege gehen. Natürlich empfindet da nicht jeder gleich, aber ich und alle eng mit mir befreundeten Vegan Straight Edger/-innen haben gar nichts mehr mit der «normalen» Hardcore-Szene zu tun.
Ein Unterschied zwischen uns und «normalen» Veganern ist vielleicht, dass wir extremer auftreten. Das kommt daher, dass wir alle absolut nicht der Meinung sind, dass Veganismus eine persönliche Entscheidung ist. Heutzutage ist es wirklich kein Problem, sich vegan zu ernähren. Es gibt kein Argument gegen eine vegane Ernährung. Natürlich bin auch ich nicht als Veganer geboren worden. Aber es ist sicher nicht zu viel verlangt, sich wenigstens ein bisschen über seine Lebensmittel zu informieren. Wir leben nicht vegan und straight edge, sondern wir sind vegan straight edge. Für uns alle gibt es kein Zurück. 
Deshalb schüchtert unser selbstsicheres, offensives Auftreten und unser Zusammenhalt einige Personen ein, weil sie unseren Argumenten nichts entgegenzusetzen haben (wer ein einziges vernünftiges Argument für den Konsum von Fleisch hat, soll sich bitte bei mir melden!).

Wie sieht euer Kontakt zu den konventionellen Hardcore-Bands aus? Sucht ihr den Kontakt zueinander, oder sind die Unterschiede dann doch zu gross?

Das ist von Person zu Person unterschiedlich. Mit Storm Of Justice (und auch sonst) habe ich nur mit Vegan-Straight-Edge-Bands zu tun. Aber ob das Hardcore, Rap oder etwas anderes ist, spielt keine Rolle. Es ist mir ein sehr wichtiges Anliegen, dass ich mit den Mitgliedern der Bands, mit denen ich zusammenarbeite, gut auskomme. Daher bin ich auch nicht darauf aus, möglichst viele Veröffentlichungen zu machen. Ich weiss, dass ichnie von diesem Label werde leben können. Und ich will das auch gar nicht. Mit SOJ möchte ich die Vegan-Straight-Edge-Message verbreiten und mich nicht davon ernähren. Aus der Szene für die Szene sozusagen. Deshalb sind mir auch die Texte der Bands sehr wichtig. Wenn eine Band nichts zu sagen hat, ist sie für mich nicht interessant. Auch nicht, wenn die Musik super ist.

Ein wichtiges Anliegen ist euch auch die Bekämpfung von Tierleid. Wie genau setzt ihr euch für die Befreiung der Tiere ein?

Wie gerade erwähnt, sind mir die Texte der Bands sehr wichtig. Ich bin der Meinung, dass man mit Musik sehr gut viele Menschen erreichen kann. Und genau dies möchte ich auch machen: Leute erreichen und informieren. Ihnen die Augen öffnen. 
Deshalb sind auf meiner Homepage (www.veganstraightedge.ch) auch Links zu Vegan-/Tierbefreiungs-/Straight-Edge-Websites zu finden. Ausserdem stehen auf jedem SOJ-Flyer immer verschiedene Links zu Informations-Websites (z.B. www.veganoutreach.org) oder zu Organisationen, die ich für unterstützenswert halte. Dazu habe ich in meinem Onlineshop eine Auswahl an Flyern, die man kostenlos bestellen kann, um sie zu verteilen. Und nicht zuletzt handle ich auf der persönlichen Ebene, wie viele Veganer auch: Ich rede/diskutiere viel mit Leuten, informiere mich selbst, lese viel, bilde mich weiter usw.

Allein die Tatsache, sich für Tierrechte einzusetzen und sich vegan zu ernähren, empfinden Aussenstehende oft als extrem. Dazu aber noch Hardcore-Musik zu hören, klingt doch ziemlich verrückt. Wie reagiert die Umwelt auf diesen Lebensstil?
Es stimmt tatsächlich, dass viele Menschen, die mich noch nicht lange kennen, mir nicht glauben, dass ich mich vegan ernähre. Einige wissen noch nicht einmal, was es überhaupt bedeutet, sich so zu ernähren. Viele Menschen überlegen sich gar nicht, dass für die Ei-Produktion jeden Tag Tausende Leben ausgelöscht werden oder warum die Industrie uns weiszumachen versucht, dass unser Körper Kuh(!)milch für ein gesundes Wachstum benötigt. Und genau hier liegt meiner Meinung nach das Problem. Die meisten Menschen interessieren sich nicht für ihr Essen. «Die Wurst kommt aus dem Kühlregal und Teigwaren kann man doch gar nicht ohne Eier herstellen.» Wenn diese Leute dann noch erfahren, dass man absolut gegen Alkohol- oder anderen Drogenkonsum ist, wird man häufig als Extremist abgestempelt. Oft habe ich auch schon die Frage hören müssen, ob «Straight Edge» eine Sekte ist. Nein, ist es nicht! Weder tritt man einer Organisation bei, noch gibt es irgendwelche Anführer!
Dasselbe gilt für die Musik. Die meisten Menschen wissen gar nicht, was Hardcore ist, und schauen mich auch dementsprechend verwirrt an, wenn sie mich nach meinem Musikgeschmack fragen. Um diesen Personen dann doch eine für sie akzeptable Antwort zu geben, antworte ich häufig einfach mit «Metal» oder «Hardrock», was eigentlich nicht genau zutrifft.
Unser Lebensstil entspricht wohl kaum demjenigen, den man sich heutzutage von einem «normalen» Jugendlichen vorstellt. Und doch möchte keiner von uns tauschen und ein anderes Leben führen. Erst recht nicht, weil wir so wenige sind. Dies bringt uns eher näher zusammen. Für uns gibt es mit Vegan Straight Edge kein Zurück mehr.

Wo steht die Bewegung im Moment? Hast du das Gefühl, dass sich momentan viele Leute für die Straight-Edge-Lebensweise interessieren, oder ist die Bewegung eher am Abflauen?

Die Vegan-Straight-Edge-Bewegung befindet sich auf jeden Fall wieder im Aufstieg. In der kleinen Schweiz sind in den letzten Monaten ein paar neue jüngere Kids dazugestossen, und auch aus dem Ausland höre ich, dass die Zahlen steigen, was natürlich sehr erfreulich ist. Aber es können nie genug sein. Auch heute hoffe ich immer noch, dass wir sozusagen die Saat einer neuen Welt sind. Einer Welt, in der keine unschuldigen Lebewesen mehr für die abscheuliche Gier der Menschheit mehr leiden und sterben müssen. Das mag utopisch klingen, aber lohnt es sich zu kämpfen, wenn man kein Ziel hat?

Renato Pichler

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