Der bekannte Tierrechtsphilosoph Helmut F. Kaplan hat sich in seinem neuesten Buch mit vielen kurzen Artikeln zum Thema Mensch-Tier-Beziehung geäussert. Die Hauptkapitel sind: «Terror gegen Tiere», «Einheit der Ethik» und «Strategien für Tierrechte».
Sie haben ein neues Buch veröffentlicht. Inwiefern unterscheidet es sich von Ihrem Bestseller «Leichenschmaus – Ethische Gründe für eine vegetarische Ernährung»?
In «Leichenschmaus» ging es quasi um die ganze Bandbreite menschlicher Unmoral gegenüber Tieren. Im jüngsten Buch wollte ich einen speziellen Aspekt herausarbeiten, der meines Erachtens bisher zu kurz gekommen ist, eben den Verrat: Wir haben den Tieren sehr viel zu verdanken, denken Sie nur an Blindenhunde, Suchhunde, Arbeitstiere und alle Haustiere. Wir wären den Tieren also zu grossem Dank verpflichtet. Aber wir behandeln sie, als Individuen und als Kollektiv, auf unbeschreiblich abscheuliche Weise.
Was war Ihr Anliegen beim Schreiben dieses Buches?
Neben dem bereits Gesagten, erstens, unsere historisch beispiellose Terrorherrschaft gegenüber Tieren zu beschreiben. Zweitens zu zeigen, dass unser Verhalten gegenüber Tieren allen unseren moralischen Überzeugungen widerspricht. Und drittens, Strategien aufzuzeigen, wie diese schreckliche Situation beendet werden kann.
Haben Sie Humor?
Komische Frage, warum soll ich keinen Humor haben?
Weil man immer wieder hört, auch von Leuten, die Ihnen wohlgesinnt sind: Ja, aber der Kaplan hat halt so ein negatives, düsteres Image!
Da sollte man zwei Ebenen unterscheiden. Zuerst das Thema, über das ich schreibe: Jemandem, der die permanenten, globalen Massaker an Tieren angemessen beschreiben und effizient bekämpfen will, kann man schwerlich ernsthaft vorwerfen, dabei zu wenig Humor zu zeigen. Was in Schlachthöfen und Versuchslabors mit Tieren passiert, ist von Heiterkeit und Humor ebenso weit entfernt wie das, was in Nazi-KZs und CIA-Foltergefängnissen mit Menschen passierte und passiert.
Aber um Menschen zu motivieren, muss man doch beim Positiven ansetzen!
Genau daran hege ich so meine Zweifel! Man sehe sich nur an, was [der österreichische] «Tierdiplomat» Michael Aufhauser mit seinem «positiven» Ansatz bewirkt: Nichts! Kein Mensch hört durch ihn mit dem Fleischessen auf. Warum denn auch, wo Aufhauser auf seinem «Gut Aiderbichl» doch selber Fleisch serviert! Schlimmer noch: Aufgrund von Aufhausers Wohlfühl-Kurs essen die Menschen dann auch noch guten Gewissens Fleisch!
Also kein Entrinnen vor der resignativen Grundhaltung?
Doch! Wenn Sie meine Texte lesen, sehen Sie, dass ich zwar das grauenvolle Schicksal der Tiere nirgendwo beschönige, dass ich mich aber gleichzeitig bemühe, den Menschen ganz konkrete Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie dazu beitragen können, diese Situation zu verändern. Ausserdem verweise ich immer wieder auf die Parallele zwischen Tierrechts- und Menschenrechts-Bewegung und die positive Perspektive, die sich daraus ergibt: Früher gab es Sklaverei, heute ist sie geächtet, einst waren Menschenrechte eine Minderheitenangelegenheit, heute sind sie, zumindest vom Anspruch her, universell.
Sie sprachen eingangs von zwei Ebenen …
… das eine ist die angemessene, realistische Thematisierung unseres Umgangs mit Tieren. Das andere die eigene persönliche Lebenseinstellung.
Und da sind Sie ein total lustiger Typ?
(Lacht) In gewisser Weise, ja. Jedenfalls stelle ich immer wieder fest: Wenn es nicht gerade um Katastrophen, Todeslager oder Foltergefängnisse geht, bin ich ungleich humorvoller als die meisten meiner Mitmenschen.
Wie äussert sich das?
In unserer Familie gibt es das auf mich gemünzte geflügelte Wort: «… und du lachst!» Wenn die anderen angesichts diverser Widrigkeiten von Sorge und Hoffnungslosigkeit erfasst werden, beginne ich zu lachen und gewinne dem Ganzen noch irgendeine komische Seite ab.
Haben Sie für diese Gelassenheit eine Erklärung?
Wenn man über Jahrzehnte tagtäglich mit dem schrecklichen Schicksal der Tiere konfrontiert ist, relativieren sich die Probleme, mit denen wir Menschen üblicherweise konfrontiert sind, ganz erheblich.
Leiden als Lebenshilfe?
In gewisser Weise, ja. Es ist ja alles relativ, und im Vergleich zum Leiden der Tiere sind unsere Sorgen in der Regel lächerlich klein.
Woher kommt Ihr Interesse an Tieren? Gab es einen entscheidenden Moment?
Ich habe überhaupt kein besonderes Interesse an Tieren als solche; ich bin kein «Pferdefreund» oder «Katzennarr» – gut, Letzteres vielleicht schon. Worum es mir geht, ist unsere wahnwitzige Ungerechtigkeit gegenüber Tieren und das daraus resultierende Leiden. Ein besonderes Schlüsselerlebnis gab es da meines Wissens nicht. Vielmehr war es der wiederholte Anblick von toten Tieren in Geschäften, der mich für diesen Skandal sensibilisierte.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Als nächstes erscheint ein Buch, das vordergründig mit Tieren nichts zu tun hat: «Freude, schöner Götterfunken – Glück zwischen Schmerz und Tod». Genauer betrachtet, haben Schmerzen und Leiden natürlich – leider – sehr viel mit Tieren zu tun. Danach erscheint ein Aphorismen-Band.
Und das nächste Tierrechtsprojekt?
Ich arbeite an der Fortsetzung meines Projekts, eine extrem einfache Ethik zu schaffen – Stichwort: «Ethische Weltformel». Dieser Ansatz soll auf biologischer, psychologischer und eben ethischer Ebene ausgebaut werden.
Ein neues Jahr hat begonnen – Wie sieht die Zukunft der Tierrechtsbewegung aus?
Schwierige Frage – weil es auf unterschiedlichen Ebenen widersprüchliche Tendenzen gibt. Beispielsweise ist es höchst erfreulich, dass die FAO endlich zugegeben hat, was sie seit Jahrzehnten weiss, nämlich, dass die Fleischproduktion ein ökologischer Wahnsinn ist. Andererseits scheint mir die Fleischwerbung heute aufdringlicher und schamloser denn je zu sein.
Ihr Fazit?
Eigentlich bin ich optimistisch. Ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte: Vor Jahrzehnten galt ich allgemein als pathologischer Sicherheitsfanatiker – weil ich mir ins Auto Sicherheitsgurte und Nackenstützen einbauen liess, in der Wohnung Rauchmelder installierte und helle Kleidung trug, um von Autofahrern in der Dunkelheit besser gesehen zu werden. Das sind heute lauter Dinge, die allgemein empfohlen oder sogar gesetzlich vorgeschrieben sind! Es gibt also eine kollektive Entwicklung in Richtung Vernunft, obwohl kein vernünftiger Mensch behaupten würde, dass seine Mitmenschen vernünftiger geworden seien.
Und was hat das mit Tieren zu tun?
Eine analoge Entwicklung vollzieht sich auf moralischer Ebene. Mir ist auch nicht aufgefallen, dass meine Mitmenschen in letzter Zeit moralischer geworden wären. Aber dennoch sind die gesellschaftlichen und politischen Ansprüche deutlich moralischer geworden, wir sind sensibler geworden. [Helmut F. Kaplan - Der Verrat des Menschen an den Tieren] Denken Sie an den Umgang mit Alten und Behinderten, an Kinderrechte, an Frauenrechte, an die Abschaffung der Todesstrafe usw. Das Kollektiv ist vernünftiger und moralischer als die Individuen, die es konstituieren. Und dies wird auch zur Verwirklichung von Tierrechten führen.
Noch eine konkrete Zukunftsvision?
Ja! Ein besonders spektakuläres Beispiel für einen gesellschaftlichen Umbruch sind ja die Rauchverbote. Wer hätte das vor zehn Jahren für möglich gehalten! Aber anstatt die Raucher auszugrenzen, wäre es viel sinnvoller, als Zwischenschritt zum völligen Fleischverbot, die Fleischesser auszusperren. Die sollten ihrem Laster nur mehr vor der Tür oder in Hinterzimmern frönen dürfen. Und auf jeder Fleischpackung sollte stehen: «Fleischessen tötet Tiere, gefährdet Ihre Gesundheit, ruiniert unsere Umwelt und trägt zum Welthunger bei!»
«Wir richten die Moral nach unserem Handeln, anstatt unser Handeln nach der Moral zu richten.»
Helmut F. Kaplan
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Helmut F. Kaplan: Der Verrat des Menschen an den Tieren, Vegi-Verlag, ISBN 3-909067-06-9, 2007, 260 Seiten
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Homepage von Helmut Kaplan: www.tierrechte-kaplan.de