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Tierschützer nach über 100 Tagen frei

Endlich, nach über 100 Tagen Gefangenschaft, wurden alle österreichischen Tierschützer am 2. September aus der Untersuchungshaft entlassen. Doch die unbewiesenen Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft bleiben nach wie vor bestehen.

Hintergrundinformationen zum Justizskandal um die gefangenen Tierschützer in Österreich:

Am 21.5.2008 wurden die Büros verschiedener Tierschutz- und Tierrechtsgruppen in Österreich durch die Polizei durchsucht und wichtiges Arbeitsmaterial beschlagnahmt.
Mehr als 20 Tierschützer/-innen, darunter Angestellte des VGT Österreichs und anderer Tierschutzorganisationen wie den Vier Pfoten und dem Wiener Tierschutzverein, wurden beschuldigt, Mitglieder einer kriminellen Organisation zu sein. Zehn davon wurden in verschiedenen Gefängnissen inhaftiert.

Weltweite Anteilnahme

Israel, Australien, die USA, Irland, Schweden, Finnland, Italien sind nur einige der Länder, die sich an internationalen Solidaritätskundgebungen für die Freilassung der Tierschützer stark gemacht haben. Tief betroffen zeigten sich auch Universitäts-Professoren, Wissenschaftler, Künstler und Politiker. In einer Online-Petition sprachen sie sich zusammen mit über 6000 weiteren Personen gegen die Polizeiwillkür an Tierschützern aus.

Anschuldigungen weiterhin unbeweisbar

Den Inhaftierten wird vorgeworfen, Mitglieder einer kriminellen Organisation zu sein. Eine Bedingung für die Gründung einer kriminellen Organisation ist aber, dass sie aus mindestens 10 Personen besteht. Es ist also kein Zufall, dass genau 10 Personen verhaftet wurden, die zudem noch zu den in Österreich aktivsten Tierschützern gehören. 
Dabei gibt es heute, knapp 3 Monate nach der Verhaftung, noch immer keine konkreten Anschuldigungen gegenüber den einzelnen Tierschützern. Und das obwohl Staatsanwalt und Polizei-Sonderkommission sich redlich bemühen, Verdachtsmomente zu konstruieren und aufzubauschen sowie Entlastendes zu vertuschen. Ein paar Beispiele:

  • Ein Belastungszeuge wurde erfunden.
  • Ein Bekennerschreiben wurde erfunden.
  • Ein Ofenbrand in einer Jägerhütte wurde zu einer Tierschutzbrandstiftung erklärt.
  • Eine Tatzeit wurde um 2 Tage verlegt, um einen Verdacht zu konstruieren.
  • Der Brand in einer Bettfedernfabrik vor 9 Jahren, bei dem die Brandursache unbekannt war, wurde als Tierschutzanschlag neu aufgewärmt.
  • Das Interview einer amerikanischen Zeitung mit einem Tierschützer wurde falsch übersetzt, als ob er kriminelle Straftaten zugeben würde.
  • Aufgestochene Reifen eines Polizeiautos werden grundlos Tierschützern/-innen in die Schuhe geschoben.

Liest man den Polizeiakt, ist es schon sehr erstaunlich, was die Polizei als Verdachtsgründe anführt:

Eine medienwirksame Kreuzigungsaktion mit Tiermasken zu Ostern führt zu Hausdurchsuchungen bei allen Teilnehmern: Sie seien wegen der Aktion «militant». Als «militant» wird auch das Filmen von Pelzfarmen, das Anhalten von Tiertransportern oder das Besetzen von Büros bezeichnet. Ein Tierschützer, der in einer ORF-Sendung Filme aus Schweinefabriken zeigt, wird deshalb zum Hauptverdächtigen, das Filmen wird als Straftat einer kriminellen Organisation angeführt. Der Besuch «einschlägiger Veranstaltungen», d.h. internationaler Tierschutzkonferenzen, wird als Verdacht angeführt. Ein vollkommen freundliches Protestemail wird als Drohmail bezeichnet, die Autorin ausgeforscht und der Kriminalität verdächtigt.
Ein Tierschützer wird als militant bezeichnet, weil er auf einer Demo gegen den Stierkampf war und in einem Literaturforum zu Veganismus gepostet hat; er wird DNA-getestet und befragt. Die Tierschutz-Kontrollstelle, die ein Gütesiegel vergibt, wird verdächtigt, Schutzgelder zu erpressen; die Richterin erlaubt eine Hausdurchsuchung.

Konstruierte Vorwürfe

Augenscheinlich sind diese Vorwürfe allesamt konstruiert worden, um die Untersuchungshaft gegenüber den Tierschützern aufrecht zu erhalten. Vielleicht deshalb, weil die österreichische Tierschutzbewegung in den letzten Jahren zu stark wurde und einige für die Lobby unbequeme Gesetze durchgesetzt hat? Vielleicht aber auch, weil die Staatsanwaltschaft es sich nicht leisten kann, die vom Steuerzahler finanzierten Überwachungs- und Untersuchungsmethoden als Fehlschlag deklarieren zu müssen (bei manchen Tierschützern wurde jahrelang das Telefon abgehört und die E-Mails mit gelesen). 
Um also in der Öffentlichkeit das Gesicht zu wahren, wird in Kauf genommen, dass die zehn Inhaftierten monatelang unschuldig festgehalten und physisch und psychisch mehr und mehr zermürbt werden. So befindet sich Martin Balluch während seiner Gefangenschaft im Hungerstreik und musste auf der Krankenstation künstlich ernährt werden. Offene Briefe des Inhaftierten Chris Moser beschreiben herzerweichend, wie sehr ihm seine Frau und seine drei Kinder fehlen. 
Wie gross muss seine Freude gewesen sein, als er am 13. August erfuhr, dass sein Haftprüfungsgesuch vom zuständigen Richter angenommen wurde und er zurück zu seiner Familie durfte. Nach fast dreimonatiger Untersuchungshaft wurde somit der erste Tierschützer, Chris Moser, endlich aus der Haft entlassen. 
Dieses Urteil brachte dann endlich den Stein ins Rollen. Der zuständige Staatsanwalt war mit dieser Entlassung nicht zufrieden und wandte sich an die Oberstaatsanwaltschaft. Diese prüfte bei dieser Gelegenheit aber auch gleich, ob die U-Haft der anderen Tierschützer gerechtfertigt sei. Die Oberstaatsanwaltschaft entschied, dass eine weitere Inhaftierung im Hinblick auf die zu erwartende Strafe unverhältnismässig ist und beantragte die sofortige Freilassung der 9 verbliebenen Häftlinge.

Die Freude bei den Verwandten und Freunden wie auch bei den Tierschützern in der ganzen Welt war gross. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht der überraschenden Freilassung. Harald Balluch, Geschäftsführer des Vereins gegen Tierfabriken, gibt zu bedenken: «Es schwebt weiterhin die Bedrohung für zivilgesellschaftliches Engagement in der Luft. Die Behauptung, dass eine kriminelle Organisation vorliegen würde, ist ja nicht vom Tisch, aber gerade wenn diese juristische Konstruktion zu einem Präzedenzfall wird, hätte das weitreichende Folgen für eine ganze Reihe von Organisationen der Zivilgesellschaft. Alle, die sich aktivistisch für Tierschutz, Umweltschutz, Menschenrechte oder was auch immer einsetzen, wären in Gefahr, von den Behörden unter Verdacht gestellt, bespitzelt und letztendlich vor Gericht gestellt zu werden.»

Mit der Freilassung der österreichischen Tierschützer ist zumindest der grösste Ausnahmezustand beendet. Doch nach wie vor wurde das beschlagnahmte Material der Tierschutzvereine nicht zurückgegeben und somit eine Weiterarbeit mit den Mitgliederlisten verunmöglicht. Es ist deshalb wichtig, dass die Öffentlichkeit weiterhin die Ereignisse in Österreich skeptisch verfolgt.

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